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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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eingeschlossen von Gespenstergeheul und Löwengebrüll: »Die Armee hat sich in Stoßtrupps aufgeteilt und dringt in die Stadt ein, und sie dringt weiter vor, ohne Rücksicht auf Verluste, der Tiananmen ist am Ende.«
    »Halt’s Maul!« Ich hielt mir die Ohren zu.
    »Aber die Studenten glauben nicht, dass sie schießen werden, sie vermuten, dass die meisten nur Gummigeschosse verwenden.«
    »Halt’s Maul!«
    »Du denkst, du stehst über allem, was?«
    »Halt’s Maul, Michael Day«, schrie ich in das Dunkel hinein, »mach mich nicht an, ich bin nicht der Dichter, den du in mir siehst, mir waren Massenbewegungen immer schon egal. Wenn ich der Vernichtung nicht entgehen kann, dann bringe ich mich selbst um, aber ich lasse mich nicht von Freiheit, Demokratie, Menschenrechten oder Brüderlichkeit, diesem importierten Zeug, vernichten! Ich habe noch nicht viel Blut fließen sehen.«
    »Hoffst du etwa, dass Blut fließen wird, dass es in Strömen fließen wird?«
    »Ja und wenn? Was kann so ein Hundsfott wie ich oder du denn machen?« Mir war alles egal, ich schrie herum, ich hielt den Kopf nach oben, als stünde mir schon das Blut bis zum Hals: »Wen hat es denn bisher geschert, ob ich lebe oder tot bin? Außer meiner Mutter und mir?« Das Wort »Schwester« schluckte ich herunter.
    »Arschgeige!«
    »Besser eine Arschgeige als den Arsch in der Grube, die Erde ist zuallererst einmal ein Arsch mit Geige«, ich lachte, »für diesmal habe ich zu tun.«
     
    Wenn du mit der Seele eines Attentäters geboren bist, sollte aus dir eigentlich ein Held werden wie Jing Ke oder Nie Zheng [14] , doch wenn du dich umschaust und Haar und Bart in vollem Wichs stehen, fehlt dir das Schwert, das du ziehen könntest. Dein Körper ist eine verrostete Schneide, deine Gliedmaßen zittern, Schimmelflecken in den Gelenkräumen und kurzsichtige Augen, die nichts anvisieren können mit dem Gewehr! Jing Ke weint in deinem Körper, er flucht, du Abfall, du Müll, du Dreck, versuchst, Kugeln abzuwehren mit Klebebildchen über Gerechtigkeit, Moral, Gewissen, Pflicht. Wenn die Masse in den Mauselöchern verschwindet, musst du auf den Plan. Aber was bringt es, wenn du auf den Plan trittst? Der Mord ist längst beschlossene Sache, die Toten waren unerfahrene Waschlappen, stellen sich bis an die Zähne bewaffneten Soldaten in den Weg mit Feuerchen und Stöcken, wie primitive Affen. Und dann haben sie erst einmal ein paar von ihnen umgebracht, damit die Horde sieht, was ihr blüht!
    »Ich halte das nicht aus!«, schrie ich und hielt mir die Ohren zu. Kugeln pfiffen durch meinen Wahn.
    Massaker
    Gedicht, gewidmet der Französischen Revolution
    Gedicht, gewidmet der 4.-Mai-Bewegung
    Gedicht, gewidmet den Opfern des 3. Juni
    Das nächste Massaker geschieht in der Zentrale der Utopie
    der Präsident ist erkältet und das Volk hustet, der Ausnahmezustand wird verhängt
    der zahnlose Staatsapparat drückt auf die Kranken, die Widerstand wagen
    Unruhestifter fallen zu Tausenden, keiner hat eine Waffe
    Berufskiller schwimmen im Blut, mit Eisen behängt, sie legen Feuer unter verschlossenen Fenstern
    sie putzen die Stiefel mit dem Rock toter Mädchen, sie werden nicht zittern.
    Roboter haben kein Herz, sie werden nicht zittern!
    Ihr Hirn hat nur ein Gesetz, ein Dokument mit tausend Lücken, das bedeutet
    des Vaterlands Massaker an der Verfassung!
    Der Verfassung Massaker an der Gerechtigkeit!
    Mütter verschlingen ihre toten Kinder!
    Kinder verführen ihre Eltern!
    Frauen verraten ihre Männer!
    Bürger verbrennen ihre Stadt!
    Schießt! Schießt! Auf die Alten, die Kinder, schießt auf die Frauen! Auf die Studenten, auf die Arbeiter, auf die Lehrer, schießt auf die Straßenhändler! Knallt sie ab! Knallt sie ab! Nehmt sie aufs Korn, die Gesichter voll Wut, die verblüfften Gesichter, die verkrampften Gesichter, die Gesichter mit dem verzweifelten Lachen, die resignierten Gesichter, die friedlichen, knallt sie ab! Wahllos, knallt sie ab! Wie schön die Gesichter in der schäumenden Flut! Wie schön die Gesichter auf dem Weg in den Himmel, die Hölle, wie schön die Gesichter! Die Schönheit, die uns zu Monstern macht, die Schönheit! Die Schönheit, die uns verführt, zutreten sollen wir, verleumden, besetzen und schänden! Liquidiert alles Schöne! Liquidiert die Blume, den Wald, den Campus, die Liebe, die Gitarre, die zu reine Luft! Liquidiert die Gedanken, die Gut und Böse begreifen wollen! Knallt sie ab! Knallt sie ab! Stillt eure Sucht! Zieht euch den

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