Für ein Lied und hundert Lieder
talentierte Leute in Zelle 6, um die Sache richtig anzupacken, ich will das hinter mir haben vor der Gerichtsverhandlung, in der ich mein Todesurteil bekomme.«
»Und der Wachsoldat?«
»Ich lege ihm einen guten Pullover zur Seite, ich kann den sowieso nicht mehr tragen.«
Ich seufzte, denn ich wusste genau, dass das ein Risiko sein würde, aber auch ich konnte mich der Verlockung dieser Spielerei nicht entziehen. Ji Hua floss vor Begeisterung regelrecht über und schlug vor, ein Organisationskomitee für die Beerdigung einzurichten, er selbst wolle die schwierige Aufgabe übernehmen, die Trauerrede und die Beileidstelegramme aufzusetzen, während der gute Xie, der am meisten Welterfahrung hatte, mich heimlich ermahnte: »Mach da um Himmels willen nicht mit, mach’s wie ich, tu einfach so, als ob du schläfst!«
Die Vorbereitungsarbeiten für die Trauerfeier des Genossen Wang Er begannen mit viel Tamtam. Nach dem Abendessen suchte sich Ji Hua aus den Leimschalen, die man uns für unsere Tütenkleberei zur Verfügung gestellt hatte, sorgfältig den besten Pinsel aus und löste von vier weiteren die Haare. Danach säuberte er sorgfältig die Innenwand des Pinselstocks, zog den Pinselkopf heraus und ersetzte ihn durch eine entsprechend zurechtgeschnittene harte Pinselspitze aus dem gleichen Material. Der Knackpunkt dieser Technik war die Pinselspitze. Ji Hua war einen ganzen Nachmittag mit schneiden und polieren beschäftigt, bis er vier vom Pinselstrich her unterschiedlich große Pinselspitzen fertig hatte, die funktionierten wie ein Füllfederhalter.
Als das technische Problem gelöst war, klebten Wang Er und der alte Bai mit den Ohren an der hinteren Wand und warteten ungeduldig auf den turnusmäßigen Besuch des Gefängnisarztes. Die frohe Botschaft kam langsam näher, und Wang Er fügte sich mit einem Bambusstocher an der Wade eine blutige Wunde zu. Der alte Bai brüllte sofort um Hilfe, und der Arzt trudelte reichlich spät von der Nachbarzelle ein. Die Meute wimmelte ihm entgegen, man prügelte sich darum, die Hand auszustrecken und die Medikamente entgegenzunehmen. Das gutmütige Rotfell von einem Gefängnisarzt fragte nicht groß nach dem Grund für eine Erkrankung, er drückte einfach jedem zwei Reihen Pillen in die Hand, es sah aus, als würden an kleine Jungs Bonbons verteilt. Der alte Bai tippte in den Balsam und rieb seine Wunde ein, nutzte eine Unachtsamkeit des Arztes und warf die Arzneiflasche um. Der senkte den Kopf hinab, hob die leere Flasche auf, reichte ihm ein großes Knäuel Verbandwatte, drehte sich um und ging.
Der alte Bai saugte mit der Watte die große Lache des Balsams vom Fenstersims, und Ji Hua prahlte herum, er gehe »mit der Tusche so sorgsam um wie mit Gold«. Die beiden Verschwörer drückten den Pinsel angespannt und akribisch in die Wolle voller Tusche und konnten noch vor dem Appell ihren großen Erfolg vermelden.
Am nächsten Morgen in aller Frühe zog Wang Er eigens ein weißes Hemd und eine blaue Hose an und strahlte wie ein Schönling aus Hongkong. Es war unerträglich schwül, der nackte Schädel des Models troff vor Schweiß wie gekochte Bohnen, aber er nahm unter der Ägide des Malers die verschiedensten Positionen ein. So plagte er sich einige Stunden, bis Ji Hua auf einen großen Bogen aus der Frachtkiste herausmontierten Packpapiers in rascher Folge fünf, sechs Zeichnungen hinwarf – er war noch nicht zufrieden.
Eine Schar von nackten wilden Tieren stand um einen makellos gekleideten Gentleman herum, Wang Er jedoch machte den Affen, schnitt Grimassen in alle Richtungen, um die peinliche Atmosphäre abzumildern.
»Sieht das mir altem Quatschkopf ähnlich?«, fragte er mich.
»Frag deine Alte!«
»Meine Alte?«, er lachte bitter, »ich kann nur in der Unterwelt über Träume Nachrichten von ihr empfangen.«
»Nicht reden!«, rief Ji Hua.
»Bringt mich ja nicht zum Reden«, sagte Wang Er und starrte in die Runde, »wir sind doch nicht im Zoo!«
Das Totenbild wurde schließlich fertig, in der üblichen Größe, der arbeitswütige Ji Hua machte sich unter der allgemeinen Anerkennung sofort an die Abfassung der Trauerrede und der Beileidstelegramme. Ich kümmerte mich nicht um das massive Abraten des guten Xie und glättete das fertige Manuskript ein wenig und bestand darauf, jedes Detail dieses Dramas zu arrangieren. Nach der Kostümprobe wurde die Trauerfeier des Genossen Wang Er um drei Uhr am Nachmittag des gleichen Tages in Zelle 6 des
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