Für ein Lied und hundert Lieder
Zeitschrift ›Zuojia‹ vergleiche, hätte ich nie geglaubt, dass Sie
der
Liao Yiwu sind.«
»Ich bin älter geworden«, sagte ich wie im Fieber, »ich könnte Ihr Vater sein.«
»Nein, eigentlich sahen Sie aus wie ein Löwe, aber die Augen, die aus seinem Fell schauten, waren ernst, klar und gut, man musste gleich an Gedichte denken; jetzt sind Sie kahlgeschoren, und die Konturen Ihres Körpers sind runder geworden«, Xiao Cao lachte bitter, »ich hätte nicht hierherkommen sollen.«
»Das ist ein Job, um den man Sie beneiden wird«, lachte ich gezwungen. Mir taten der Mund und die Nase so weh, dass ich nur ein wenig Luft einzog, »es ist nicht leicht, eine Arbeit zu finden.«
»Auch Sie sagen das?«, sagte Xiao Cao bestürzt, »Sie klingen wirklich wie mein Vater!«
Ich gab ihm schweigend recht.
»Ihr Blick ist sehr wild und sehr kalt. Sie sollten sie nicht verärgern, in diesem Stall hier sind die Beamten mindestens so verrückt wie die Gefangenen.«
Ich wartete ab.
»Ich widersetze mich mit allem, was ich habe, dem Wahnsinn dieses Jobs. Ich benutze keine Elektroknüppel, keine Bodenfesseln und andere Strafinstrumente. Das macht mich unter meinen Kollegen zur Witzfigur, ein Wärter, der seinen Elektroknüppel nicht benutzt, ist natürlich eine Witzfigur.«
Draußen näherten sich Schritte, Xiao Cao schreckte hoch und raffte sich auf: »Ich bringe Sie in Ihre Zelle«, sagte er und nickte seinem Chef, unserem Zwerg Li, der zur Tür hereinkam, zu.
Auf halbem Weg fragte ich ihn auf einmal: »Regierung Cao, kennen Sie den berühmtesten Satz von Jesus?«
»Wenn dir jemand auf die linke Wange schlägt, dann halte ihm auch die rechte hin«, antwortete Xiao Cao prompt, »aber leider ist Gott kein Chinese.«
Im August 1992 hat das höchste Gericht meine Beschwerde zurückgewiesen. Daraufhin verließ ich das Untersuchungsgefängnis Chongqing und wurde in das Provinzgefängnis Nr. 2 von Sichuan verlegt.
Zur Umerziehung durch Arbeit
Im Provinzgefängnis Nr. 2
Im »Archipel Gulag« ist ein Längsschnitt aller Umerziehungslager der früheren Sowjetunion veröffentlicht worden, die säulenartige Beschriftung der einzelnen Lager bedeckte jeden Winkel auf einer Fläche von über zweitausend Quadratkilometern, es sah aus wie eine tuberkulöse Lunge. Solschenizyn hat durch die Durchleuchtung dieser gewaltigen Lunge und durch seine Diagnose vorausgesehen, dass dieses größte despotische Reich der Menschheit schon im Spätstadium des Krebses angekommen war.
China ist auch eine solche Lunge, von Tausenden und Abertausenden von Geschwüren und Löchern übersät, was von den gesellschaftlichen Bewegungen und Umwälzungen in die Gefängnisse gespült wird, das ist, als löse sich eine ideologische Verschleimung. Unter der Masse von Gefangenen wurden wir von den Führern des Rechtssystems als »Krebszellen der Epoche« bezeichnet.
Heute streuen einige dieser »Krebszellen« immer noch. Die Gefangenenwagen fahren immer noch quietschend durch das Land, wie ein Spinnennetz ziehen sich die Straßen und Gassen über das Land und bilden in den wogenden Gipfeln eine alte, historische Bergstadt. Wenn ich die Augen schließe, habe ich das Gefühl, ich sei zwischen zwei Mühlsteine gesperrt und würde durch ihr Gebiss ausgewrungen in den zähflüssigen Yangzi oder Jialing hinein.
»Wir sind bald da«, sagte der Beamte in der ersten Reihe. Dann erfuhr ich, dass das zweite Provinzgefängnis an einem Ort Danzishi lag und den Decknamen »Postfach 2106« führte.
Der Wagen bremste vor dem Gebäude der Gefängnisverwaltung, die Beamten auf beiden Seiten erledigten die Übergabeformalitäten. Mit drei anderen Gefangenen gemeinsam gingen wir, jeder mit seinem Koffer in der Hand, zum Röntgen und zur Blutuntersuchung, danach machten wir uns fertig, in den zweiten Kreis zu kommen.
Der zweite Kreis des Gefängnisses war, wie man sich in Legenden die Wohnbezirke in einer Stadt in Nordkorea vorstellt: Die Gebiete, die für die jeweils andere Seite eine absolute Tabuzone bildeten, waren durch eine Doppelmauer voneinander getrennt, die Mehrzahl der Schwerverbrecher lebte in diesen klar abgegrenzten Bezirken mehrere Jahrzehnte und wagte es nicht, einen halben Schritt über diese Grenzen hinweg zu tun. Ich wurde der Einstufung nach zu den Neuen der achten Produktionsbrigade verbannt; jedes Mal wenn ich eine Tür passierte, wurde ich gefilzt. Nachdem ich sechsmal gefilzt worden war, war ich nur noch folgsam, zog am helllichten Tag die Hosen
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