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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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getroffen ist, umarmen die Kameraden, die sterben sollen, einander, sie lachen, und dann werden sie mit Bajonetten gezwungen, hinunter zum Richtplatz zu gehen. Sie haben sich die Arme um die Schultern gelegt, als seien sie auf dem Weg zur Arbeit, in irgendeiner abgelegenen Fabrik …
    In dieser Nacht hat Wang Xiaoyue kein Auge zugemacht, er dachte nach, er sagte, er werde diesen Film sicher nicht vergessen.
    Ich sagte leichthin: »Du wirst ganz gelassen gehen.« Aber ich habe mich geschämt.
     
    Anfang August erreichten die Temperaturen ihren Höhepunkt, die Leute in der Zelle waren alle krank und verkamen zu einer gigantischen Dose Garfleisch. Aufgrund seiner Achtung vor Literaten beförderte unser Zellenoberhaupt, der Großvogel, meine Schlafstelle ganz gegen den Usus in die Mitte des großen Kang, zwischen zwei Todeskandidaten. Der obere, ein Todeskandidat mit Namen Mou, war erst 19, er hatte sich eine Geschlechtskrankkeit zugezogen, in der Stille der Nacht wirkte sein Gekratze, als schlage jemand mit einem Jazz-Besen über eine Kriegstrommel. Ich musste aufstehen und gegen die Wand gelehnt schlafen. Von den Fingern des Toten Mou troff eitriges Blut und drohte um seine Fersen herum auf mich zu kommen. Ich ging dem Ganzen hinten und vorn aus dem Weg und kam erst im ersten Morgengrauen zu ein wenig Schlaf. In meinem Tran hatte ich das Gefühl, eine kalte Schlange dringe mir in den After und ich hätte es eilig, sie zu empfangen, erst da begriff ich, dass der Eiterfluss einen Teich gebildet hatte. Schreck und Wut mischten sich, auf der einen Seite schnarchte ich, auf der anderen Seite schlug ich ihn mit den eigenen Waffen und trat im Traum nach dem Toten Mou. Der Kerl überschlug sich rumpelnd und biss sich in der Kniekehle von Mu Yang, unserem Arzt für chinesische Medizin, fest.
    Am nächsten Morgen war Badetag, ich konzentrierte mich auf meinen Hintern und verbrauchte eine große Handvoll Salz. Und Mu Yangs Unterschenkel wurde auf einmal rot und juckte, und drei Tage später faulte eine Rose heraus.
    Dagegen habe ich heftigsten Protest erhoben, der Großvogel war im Unrecht, erlaubte mir eigens einen Karton auseinanderzunehmen und meinen Unterkörper mit der Pappe zu umgeben, wie ein Krieger im Harnisch, der sich aufrecht stehend opfert. Mu Yang ahmte mich nach. Der Tote Mou ertrug die Ausgrenzung und die Diskriminierung nicht, er wollte gerade loslegen, als er von Wang Xiaoyue mit einem Rippenstoß daran gehindert wurde.
     
    Wenn die Hitze am größten ist, macht man sich kühle Gedanken. An irgendeinem Mittag, ich spülte mir gerade den Mund aus, hatte ich auf einmal einen Einfall, einen neuen Trick zur Senkung der Temperaturen. Ich zog zuerst die Hosen aus, drückte mir Zahnpasta in die Rosette und spürte einen kühlen Luftzug blitzartig die Wirbelsäule hoch durch den Nacken bis in den Hinterkopf fahren. Ich konnte doch tatsächlich in dieser Backofenhitze ein Schaudern nicht unterdrücken und schrie unentwegt: »Es wirkt, es wirkt!« Ich hatte nicht erwartet, dass dieser Trick sich so schnell verbreiten würde: In der nächsten Zigarettenpause waren die Rosetten der ganzen Zelle mit Zahnpasta vollgestopft. Der Großvogel blinzelte behaglich und meinte anerkennend: »So ein Studierter hat doch viele schräge Ideen im Kopf.«
    Leider blieb das nicht lange so, die kühlende Wirkung verlor sich, und die Meute bekam auf einmal eigenartiges Afterjucken. Ich steckte den Finger hinein, um nachzusehen, wobei mir erst auffiel, dass mein Darm glühte, die Zahncreme war da drin längst ausgetrocknet. Woraufhin die Meute wie auf Verabredung in ihren Arschlöchern herumfuhrwerkte. Sie hatten ein taubes Gefühl, das sie in Angstschweiß badete, und der große Erfinder war im Handumdrehen zu einem Haufen Hundescheiße geworden, der in menschlicher Gesellschaft nicht erwähnt wurde.
    Als es Abend wurde, waren alle regelrecht am Dampfen, das Gefängnis glich einem Hochdruckkochtopf. Und irgendein Wachhabender, normalerweise ein kluger und einsichtiger Mann, legte, es war gerade elf Uhr vorbei, den Schalter um und stellte sämtliche Deckenventilatoren im Gefängnis ab. Damit hatte er in ein Wespennest gestochen, die Meute ging, nackt, wie sie war, hoch wie die Sprungfedern und machte einen Mordsaufstand, wurde aber auf der Stelle von den Wachsoldaten und den zuständigen Wachhabenden unterdrückt.
    Es war nichts zu machen, also kam die Zahncreme wieder in Anwendung, und das mehrmals in einer Nacht. Das Resultat davon, dass

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