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Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
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Die Arme des Produktionsbrigadenunterführers waren wie zwei Hackmesser, mal im Osten, mal im Westen; seine Blicke waren wie Blitze, und sie waren scharf, wenn jemand in der Menge nicht richtig mitsang, flogen die Hackmesser in seine Richtung oder er fuhr den Zeigefinger aus und spießte das haarlose Faultier auf. Die Meute brüllte weiter und weiter, aber der Dirigent war immer noch nicht zufrieden und ließ sie von vorne anfangen. Und die Fleischnäpfe wurden kalt, draußen, jenseits der Stimmen, aber ein hungriger Tiger zerriss sie innerlich und brachte ihr Blut zum Kochen, Speichel und Schmand sammelten sich in Mund- und Augenwinkeln.
    »Ein letztes Mal! Und mit dem Elan, mit dem ihr eure Alte stemmt!«, der Produktionsbrigadenunterführer schwitzte wie ein Schwein. Aus der Menge brach sofort ein Donner los, ein Donner im Frühling, aus blutunterlaufenen Augen und blutenden Mündern brach es auf einen Schlag heraus: »Der Sozialismus ist gut!!!«
    Zum Essen war das Lied zu Ende. Der tapfere Produktionsbrigadenunterführer sprang von seiner Bank und ging, wie ein Boxchampion, mit offenem Hemd davon. Die Meute hockte sich hastig nieder, nahm das kalte Fleisch mit beiden Händen auf, und alles war vergessen, unter dem großen Plastikdach waren über hundert Gebisse gemeinsam am Kauen und Schlucken, Schälchen und Stäbchen klapperten, die Mundhöhlen waren entsetzlich. Ich war mitten auf dem Schlachtfeld und natürlich nicht willens, mir die Blöße zu geben und mir wie ein Wahnsinniger fettes Fleisch, ölige Brühe, Gemüse und Reis in die verräucherte Speiseröhre zu stopfen und wenn mir das Ganze im Hals stecken blieb, einen großen Schluck kalter Suppe hinterherzuschütten.
    Erst als das Schlachtfeld aufgeräumt wurde, fingen die Leute langsam an zu reden. Der Räuber mir gegenüber leckte gerade seine Schüssel aus, aufgrund des Liedergebrülls war sein Mund unnatürlich weit aufgerissen, seine Mundwinkel waren eingerissen, Blut lief herunter und vertrocknete zu zwei Rinnen; der Menschenhändler neben ihm hatte eine relativ kultivierte Art, seine Schale auszulecken, er schloss am Rand der Schale die Ölbrühe mit Reiskörnern ein, bohrte dann mit dem Finger einen Eingang und saugte sie schlürfend ab. Das war geschickter, als mit der Zunge direkt durch die Schale zu kreisen und nach ein paar Umkreisungen sich in dem Porzellan spiegeln zu können.
    Zum Abendessen gab es gedünstete Nudeln. Die Neuankömmlinge warteten durch die Bank mit Steingutschälchen in beiden Händen hinter dem Eisengatter, bis die Truppe sich formiert hatte. Auf der steilen Treppe vor dem Gatter zog sich eine lange Schlange in Form eines »Z« aus verschiedenen Richtungen um die Gemeinschaftsküche. Erst nachdem sie zehn Minuten gewartet hatten, setzte sich die Kolonne der Neuankömmlinge in Gang. Der Herbstwind war sanft, der prächtige Abendnebel verblasste allmählich, und ich kam endlich an das Ende des Abhangs, aber ich sah zu meinem Entsetzen nichts als zwei halbmannshohe Nudelbottiche vor mir aufragen. Ich hielt hastig meine Schale hin, eine Kelle einer undeutlichen Nudelmasse klatschte hinein, die Suppe spritzte in alle Richtungen, ich stützte hastig mit der linken die schwankende rechte Hand, mein Ärmel war durchnässt, glücklicherweise waren die Nudeln nicht kochend heiß. Wütend schaute ich diesen eingebildeten Hundesohn an der Nudelkelle an, aber er blieb kalt wie eine Hundeschnauze und klopfte weiter mit seiner Blechkelle gegen die Wand des Bottichs und schrie: »Der Nächste!«
    Das Licht in der Zelle war schon an, ich bog in diesem Strom von Glatzköpfen um die Ecke, flutete zurück, immer noch an der Nudelmasse herumkauend: »Diese endlosen Kieselsteine«, dachte ich, »wenn menschliche Gehirne nicht nachdenken, dann sind sie wie rollende Kieselsteine.«
     
    Am nächsten Tag gab es zum Abendessen wieder gedünstete Nudeln, aber die Essenszeit war um über eine Stunde vorverlegt worden. Anschließend war auf dem sonst menschenleeren Sportplatz richtig Trubel, die Gefangenen rannten wie auf den Markt oder standen da und hielten ein Schwätzchen oder schauten beim Basketball zu. Ich allerdings, an ein Käfigleben gewöhnt, wusste inmitten dieser seltenen Freiheit nicht, was tun. Auf einmal schlug mir jemand von hinten auf die Schulter, ich drehte mich erschrocken um, da stand doch der kleine Konterrevolutionär Ji Hua vor mir!
    Ein paar Sekunden war ich wie gelähmt, dann fingen wir lebhaft an zu reden: »Meine Tage

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