Für ein Lied und hundert Lieder
wenig abgekühlt war, vergrub er das ganze Gesicht in seinen Napf und machte sich schlürfend über das Ganze her, während seine zehn Finger weiter wie von Sinnen falteten und falteten und falteten. Mit aller Gewalt unterdrückte er das Bedürfnis, auf die Toilette zu gehen, erst als er es wirklich nicht mehr aushielt, stürzte er los, riss sich die Hosen herunter, hockte sich hin, während die Hände sich ungeduldig weiter bewegten. Nach einer Weile hatte er im Vorderteil seines Gewandes alles voller Halbfertigprodukte.
Eine ganze Reihe von Gefangenen fiel in Ohnmacht, auch ich war wie im Tran; als die erste Hälfte der Nacht herum war, bewegten sich die Hände immer noch, die Augen jedoch fielen mir immer wieder zu. Ich hatte ständig das Gefühl, dass mich jemand schaukelt, mich rüffelt, ich sei ein fauler Hund, doch in Wirklichkeit scherte sich niemand um irgendwen. Der Gruppenführer war ein alter Mann, er trug eine alte Lesebrille, las die Zeitung und übte Schreiben mit dem Pinsel. Wenn zufällig mal eine Pause bei der Arbeit entstand, überprüfte er, ob alle die Gefängnisregeln beherrschten. Er ging mit äußerster Pünktlichkeit ins Bett und stand genauso pünktlich wieder auf.
Am Ende kam es mir hoch; wenn ich die Schriftzüge »Fieber- und Schmerzpulver« und »Kleinkindruh« nur sah, bekam ich Magenkrämpfe. Seit dem Untersuchungsgefängnis hatte ich drei Jahre mit dieser Falterei zugebracht, hatte Papiertüten gestapelt, vermutlich schon in der Höhe eines ausgewachsenen Hochhauses. Für den Gruppenführer war ich entschuldigt, für ihn war ich ein kurzsichtiger Intellektueller, er befahl den anderen Neuankömmlingen, meine Norm zu übernehmen, mir ein paar Ausgaben der »Erziehungszeitung« zu suchen, damit ich nach dem entsprechenden Schema einen Beitrag schrieb. Wunschgemäß schrieb ich ein Muster, reichte es schnell bei der Zeitung ein und wurde zu meiner Überraschung sogar belobigt.
Am Nationalfeiertag waren zwei Tage frei, die Gefangenen spielten in den Zellen Schach und Karten, oder sie versammelten sich unter dem Plastikdach und schauten fern, während ich im Korridor Walt Whitmans »Grashalme« las. Das Buch hatte A Xia vor zwei Wochen gebracht, ich hatte über diesen unerwarteten Besuch ein Gedicht geschrieben.
Ich las laut »Out of the Cradle Endlessly Rocking«, Tränen traten mir in die Augen, es war genau dieses Gedicht, das mich vor zehn Jahren dazu gebracht hatte, eine literarische Laufbahn einzuschlagen, ein Weg ohne Wiederkehr.
Die Essensglocke läutete, ich verließ die vergessene Vergangenheit und Walt Whitman und ging zu der Eilversammlung. Nach dem Namensappell saßen die Gefangenen entsprechend ihren Arbeitsgruppen im Kreis zusammen, im Zentrum der Kreise standen vier Essenschüsseln, zwei mit Fleisch, zwei mit Gemüse. Der Gruppenführer nahm eigenhändig einen Löffel und machte sich an die gerechte Verteilung. Auf einmal erschien ein Gefängniswärter, und auf seinen Befehl nahm alles Haltung an. Der Wärter, ein Mann von kaum mehr als 20 Jahren, ein Unterführer der Brigade, schoss wie ein Pfeil in das Herz des Feindes herein, bestieg eine aus zwei Bänken errichtete Kommandohöhe und begann mit einer zähneknirschenden Belehrung. Ich senkte wie die anderen Hausratten den Kopf und vergrub die Augen, starrte auf die Extraportion Fleisch in den Näpfen, die auf dem Boden standen, und schluckte das Wasser, das mir im Mund zusammenlief, herunter.
»Im Frühlingswind der Südreise von Genosse Xiaoping«, schrie der Produktionsbrigadenunterführer, »muss auch das Gefängnis sich reformieren! Führt die Mechanismen von Markt und Wettbewerb ein!«, schrie der Produktionsbrigadenunterführer weiter. Weiter habe ich nichts mitbekommen, ich hatte nur noch das fette Schweinefleisch im Kopf.
Dann gab es ein Geräusch, als werde Stoff zerrissen: »Kopf hoch, Brust raus! Haltung zeigen!!« Mit einem Schauer drehte ich mich zu diesem Regierung um. Aber er krempelte nur die langen Ärmel hoch und brüllte: »Der Sozialismus ist gut …! Auf die Plätze …! Hoch!« Auf diesen Befehl machten die Gefangenen seine nach oben und unten zeigenden Gesten mit und brüllten wie aus einem Mund: »Die Völker der sozialistischen Staaten leben hoch! Nieder mit den Konterrevolutionären! Der Imperialismus zieht den Schwanz ein und läuft davon …«
Ich ärgerte mich schwarz, vor meinen Augen lag ein dünner Nebel; wieder flößte mir dieses hysterische Loblied auf die Despotie Angst ein.
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