Für ein Lied und hundert Lieder
dazwischen waren, wenn man nicht mit dem Fernsehen dran war, von einer unerträglichen Langeweile. Das Leben der Masse der Felldiebe bestand natürlich nur im Geradesitzen, als hätten sie ein Lineal verschluckt, und aus gymnastischen Übungen mit untergeschlagenen Beinen; die Oberen nahmen ihre selbstfabrizierten Mahjongg- und Kartenspiele her und spielten heimlich – als diese Betätigung, die gegen die Gefängnisordnung verstieß, aufflog, wurden die Spielgeräte konfisziert, und jeder Spieler bekam es mit dem Elektroknüppel zu tun und mit Handschellen.
Die Mahjongg-Spiele waren Sonderanfertigungen aus normaler und parfümierter Seife. Die wurde in rechteckige Stücke geschnitten und zum Trocknen ein paar Tage vor das Fenster gehängt, dann mit Papier beklebt und beschriftet. Für die Pokerkarten nahm man Buchseiten und zweifarbige Kugelschreiber. Ein kunsthandwerklich geübter Felldieb konnte in zwei Arbeitsstunden ein Mahjongg-Spiel herstellen.
Da es im Gefängnis kein Geld gab, um das man hätte spielen können, spielte man um kühles Wasser, jede Runde ging es um eine große Schale, die von einem vorher bestimmten Ersatzmann stellvertretend getrunken werden musste. Der höchste mir bekannte Verlust waren acht große Schalen hintereinander, der arme Kerl war so abgefüllt, dass er im Gesicht wachsgelb wurde, er taumelte herum, und es dauerte nicht lange, bis er wie eine Kuh einen ganzen See von grünem Wasser wiederkäute.
Wenn es sich traf, dass ein Wachhabender nachlässig war, spähten die Oberen die Gelegenheit für eine abendliche Versammlung aus. Auf dem Programm standen Auftritte des Schlagerstars der Zelle, kleine literarische Skizzen, komische Couplets, Freundschaft oder Stehblues und so weiter. Ein Dauerbrenner des Programms war »Prostituierte verführt einen Freier am Eingang zum Tanzlokal«. Dem als Prostituierte verkleideten blassen Gesellen wurden vorne zwei Porzellanschalen hineingestopft. Der Text war nicht mit anzuhören. Danach betraten sie Arm in Arm das Tanzlokal, das Diebesgesindel begleitete das Ganze mit einem näselnden Gesang, wobei sorgfältig ausgesuchte »vier junge Schwäne« Ballett tanzten und sich unzüchtig betätigten mit Sachen wie Küssen, Brüstestreicheln, Gesäßwalken und »Rock«hochheben. Am Ende spielte das Weibchen die Unnahbare, die Brüste rutschen auf den Rücken und der Hintereingang wurde zur Möse. Zwei der tanzenden Männer gerieten einander vor Eifersucht in die Haare, und ein wildes Geraufe begann.
Das Untersuchungsgefängnis war in unmittelbarer Nachbarschaft zur ersten Facharbeiterschule, als Doppelkreuzung in eine andere Zelle verlegt worden war, sah sich sein Nachfolger, ein Mann mit dem Spitznamen Quadratschädel, gerne von einer Räuberleiter aus die Gegend an. Vor den Mauern waren wahrscheinlich enge Gassen, wo oft schnatternde junge Studentinnen mit ihren zerbrechlichen Glöckchenstimmen vorbeikamen.
Unser Quadratschädel spannte ihnen vom Oberlicht aus sabbernd nach, wobei er sich ein paar ebenso obszöne wie abgedroschene Sprüche nicht verkneifen konnte. Manchmal erregte ihn das Ganze so sehr, dass er sich mit einer Hand am Fenster festhielt und mit der anderen selbst befriedigte. Die spitzen Schreie und das fliehende Getrappel der Mädchen drang durch die Mauern, reizte Herz und Temperament. Quadratschädel brüllte: »Ich halte das nicht aus!« Er sprang die Räuberleiter herunter und gab den Befehl zum Bettenmachen. Mit dem Quadratschädel vorneweg legten sich sieben Kerle in Reih und Glied hin, nackt bis auf die Hüfte und mit freigelegtem Gerät. Die Felldiebe machten sich sofort ans Werk, immer eine Gruppe von zweien bediente einen Schwanz. Das war ein Kneten und Pressen und Reiben und Streichen wie bei den 18 Kampfsportarten. Der Höhepunkt war das Blasen, man hörte nur so etwas wie ein Schluchzen, es klang wie ein Verhungernder, der knallheißen Reisbrei in sich hineinschlotzt.
Die Könige des Gesindels quiekten, ihre Schwesterchen schrien durcheinander und pressten sich die Köpfe ihrer »Traumgeliebten« mit der Öffnung nach unten gegen die Lenden. Wenn sie fertig waren, schnaufte das Diebesgesindel nach Luft, es flossen Tränen, aber sie mussten den Samen, den sie im Mund hatten, irgendwie hinunterwürgen – und das kleinste Tröpfchen, das aus dem Mundwinkel rann, musste vorsichtig wieder in den Mund zurückgeschoben werden. Danach wischten sie sich mit feuchten Handtüchern die verschmierten Gesichter und leckten ihren
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