Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Für ein Lied und hundert Lieder

Für ein Lied und hundert Lieder

Titel: Für ein Lied und hundert Lieder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Liao Yiwu
Vom Netzwerk:
Bettzeug zusammenrollen und heimgehn lassen. Hab nicht Kind nicht Haus, geh allein in die Welt hinaus. Bei allen Wechselfällen ist doch alles eins, das ist das Größte, daran habe ich mich immer gehalten, das Einzige, was ich verspielen kann, bin ich selbst.«
    Der Spielerkönig war der Letzte unter den Kriminellen, der einen besonderen Eindruck bei mir hinterlassen hat, Himmel, Erde und die Zehntausend Dinge, alles schien für ihn Bestandteil eines großen Glücksspiels. Er scheute sich auch nicht, auf mich Wetten abzuschließen: »Hei, Baby Nr. 7, ich sage, Konterrevolution geht am Dreizehnten, glaubst du das auch?«
    »Woher wollt Ihr das wissen?«
    »He, gebildete Leute haben am meisten Angst vor der Dreizehn, im Westen ist das die Unglückszahl überhaupt.«
    Die Worte aus seinem Schnabel trafen am Ende zu, und Baby Nr. 7 hat zwei Stücke Fleisch verloren. Am Nachmittag des 13. Juni, der Himmel war halb bedeckt und ein leichter, unvergleichlich leuchtender Regen fiel, holte mich ein mittelgroßer Polizeibus vom Untersuchungsgefängnis ab, fuhr durch den Shaping-Deich den Berg hinab Richtung Stadtmitte. Ich saß in einer der hinteren Reihen, im Arm ein großes Bündel Bettzeug und ein paar Bücher, aber die rechte Hand war mit einer Handschelle an die Rückenlehne des Vordersitzes gefesselt.
    Auf einmal entdeckte ich ganz vorne in der ersten Reihe Liu Taiheng, wir waren durch einige Sitzreihen voneinander getrennt, er war ganz nah und doch Welten entfernt, jedenfalls kam es mir so vor. Dieser schmächtige, bedauernswerte Wurm war zu diesem Zeitpunkt noch schlimmer in sich zusammengeschnorrt, nur wenn der Wagen holperte, konnte ich einen Blick auf den kahlen Kürbis werfen, der halb über die Rückenlehne hinaushüpfte.
    »Genieß noch einmal die freie Landschaft«, ermahnte mich der Polizeibeamte, der mir auf der Pelle saß, »in dem andern Knast ist die Welt noch viel weiter weg.«
    Mein Herz war wie tote Asche. Das Wetter schien sich der miserablen Stimmung anzupassen und wurde gefährlich und unberechenbar. Bei dem Koitus von Sonnenschein und dunklen Wolken schlierte der dichte heiße Regen wie Samenflüssigkeit herunter. Unterbewusst presste ich meine Nase an die Scheibe, wie ein unglückliches krankes Kind, das ewig zu Hause eingesperrt war und stocksteif die durch den Regenvorhang kreuzenden bunten Schirme und die jungen Mädchen aus der Bergstadt ohne Schirm umherstolzieren sieht. Ich wusste nicht, wer von uns in der Sardinenbüchse war und wer durch sie hindurchwanderte.
    Spielzeuge der Machthaber.
    Gerne hätte ich mit der Faust dieses Fenster eingeschlagen, gern hätte ich mein Blut dafür hergegeben, wäre auf der Straße gelaufen, hätte mich unter einem Schirm versteckt oder unter einem Seestern. Meine Seele hatte das längst getan. Aber mein Körper hing noch immer in der Stahlfessel. Mein Geschlecht richtete sich auf, die Freiheit degenerierte zu einem erotischen Traum, surreal und metaphysisch.

Im Gerichtsgefängnis [38]
    Zelle 10
    Der Polizeibus fuhr ziemlich wild, selbst in Kurven ging er nicht mit der Geschwindigkeit runter. Und da die Einmündung der Gasse sehr eng war, wäre er bei der Fahrt bergab beinahe auf den Bürgersteig geknallt, Passanten und Wagen wichen einander aus. Der Fahrer war bescheuert, er trat immer erst auf die Bremse, wenn er irgendeinen Hintern auf der Haube hatte. Ich flog ständig nach vorne. Das war ein Teufel, der anscheinend nicht schnell genug in die Hölle kommen konnte, so schlingerte er um die Kurven, rechts und links von der Straße war ein Wald von Verkaufsständen, wie bunte wacklige Bühnen, die in Windeseile den Vorhang hochzogen und wieder schlossen. Schließlich kamen wir an der Shibanpobeili Nr. 15 an, ich blinzelte mit den Augen und sah das große Schild des Gerichtsgefängnisses von Chongqing.
    Ohne auszusteigen, fuhren wir in das große Tor, Torwachen mit dem Stahlhelm auf Augenbrauenhöhe untersuchten die Formalitäten der Polizei, winkten mit der Fahne und ließen uns durch. In dieser blumengeschmückten Kaserne kamen von überallher der Lärm von Waffenübungen und »Töten! Töten!«-Rufe, der Polizeibus fuhr in einem großen Bogen von dem niedrig gelegenen Haupttor nach oben, einmal ganz um den Drillplatz herum, wo Krieger mit bloßem Oberkörper und glattrasierten Schädeln erbittert Nahkampf übten, was so gemeinen Kreaturen wie mir das Blut gefrieren ließ.
    Als wir durch das zweite Tor waren, stiegen wir aus, standen stramm, machten

Weitere Kostenlose Bücher