Für eine Nacht

viktorianischem Haus zurück. Es war ein seltsames Gefühl, hier bei ihm zu sein, nachdem sie davon ausgegangen war, ihn nie wiederzusehen.
    Im Erdgeschoss des Gebäudes waren die Büroräume der Yorkshire Falls Gazette untergebracht, der obere Stock war Chases ureigenstes Reich. Sloane betrachtete die Wohnung bewusst mit den Augen der Frau, nicht der Innenarchitektin, und nahm das private Umfeld dieses Mannes in sich auf, mit dem sie aus einer Laune heraus geschlafen hatte. Trotz des vorherrschenden dunklen Holzes und des Fehlens von Rüschen und Nippes machte der Raum einen behaglichen Eindruck, dafür sorgten die orientalischen Läufer auf dem Parkettboden, die Familienfotos, die einen Ehrenplatz einnahmen, was bewies, wie wichtig ihm seine Familie war, und der überall herumliegende typische Krimskrams eines allein lebenden Mannes.
    Eines sehr maskulinen Mannes, wie sie einmal mehr feststellte. Er stand mit seinem Bruder am Fenster und unterhielt sich leise mit ihm, und wieder konnte sie die beherrschte Energie spüren, die von ihm ausging – dieselbe Energie, die er auch im Bett bewiesen hatte. Sloane betrachtete ihn genauer
und kam zu dem Schluss, dass ihr Gedächtnis sie getrogen hatte. Er sah sogar noch besser aus als in ihrer Erinnerung. Wenn er seine Worte mit beredten Gesten unterstrich, spannten sich die grasfleckigen Jeans über seinem strammen Hinterteil und ...
    Sloane erschauerte, und diesmal war nicht der erlittene Schock die Ursache dafür. Himmel, der Anblick dieses Mannes löste eine Flut nie gekannter Gefühle in ihr aus. Als er sie vorhin zu Boden gerissen hatte, hatte sie seinen vertrauten Geruch wieder erkannt und trotz der Gefahr, in der sie schwebten, augenblicklich prickelnde Erregung verspürt. Die Verbindung, die bereits zwischen ihnen bestand, hatte die ganze Szene noch unwirklicher erscheinen lassen. Wie kam es eigentlich, dass sie einander unter so ungewöhnlichen Umständen wieder begegnet waren? Sie hatte Officer Rick Chandlers Fragen bereitwillig beantwortet, aber nun schuldete Chase ihr eine Erklärung.
    Sie streckte die Beine aus. Ihr ganzer Körper schmerzte. Bei dem Versuch, Dog – so lautete, wie sie inzwischen erfahren hatte, der Name von Samsons Haustier – zu retten, hatte sie sich zahlreiche Kratzer und Prellungen zugezogen. Sie fand, dass der Name des Hundes ein weiterer trauriger Beweis für das einsame Leben war, das der Unbekannte namens Samson führte. Aber wenigstens hatten die Feuerwehrleute ihr bestätigt, dass sich zum Zeitpunkt der Explosion niemand im Haus aufgehalten hatte. Samson war demnach zum Glück nicht verletzt oder gar getötet worden.
    Chase und sie waren vom Unglücksort direkt zu Dr. Sterling, dem Tierarzt der Stadt, gefahren, der Dog untersucht hatte und sich um ihn kümmern würde, bis Samson zurückkam. In stillschweigendem Übereinkommen hatte jedoch niemand die Frage gestellt, was aus Dog werden sollte, wenn
Samson nicht zurückkehrte. Sloane erschauerte und schlang fröstelnd die Arme um den Körper.
    »Alles in Ordnung?« Chase trat zu ihr und legte eine Hand auf das Kissen hinter ihrem Kopf; eine Geste, die einer Berührung so nahe kam, dass sich ihre Nackenhärchen aufstellten.
    »Mir geht es ausgezeichnet. Warum auch nicht? Schließlich fliegen ja fast jeden Tag direkt hinter mir Häuser in die Luft!« Sie lachte schrill auf, wohl wissend, dass sie immer noch gefährlich nah am Rand der Hysterie stand, obwohl die Explosion schon zwei Stunden zurücklag.
    Rick kam auf sie zu, doch Chase schob sich zwischen Sloane und seinen Bruder. »Es reicht, Rick. Lass sie doch endlich zur Ruhe kommen. Sie muss nur eine Nacht durchschlafen, dann bringe ich sie morgen auf die Wache, damit sie das Protokoll unterschreiben kann.«
    Er bildete ganz bewusst einen Schutzwall zwischen ihr und der Polizei, und sie war dankbar für seine Fürsorge. Aber obwohl die ganze Geschichte sie mehr mitgenommen hatte, als sie zugeben mochte, fühlte sie sich durchaus in der Lage, sich gegen Rick zu behaupten. Nicht umsonst war sie Michael Carlisles Tochter oder war zumindest von ihm erzogen worden. Und ihre Eltern hatten ihr eine wichtige Lektion eingebläut: Je offener und mitteilsamer sie sich gab, je seltener sie zu Ausflüchten griff, desto weniger würde sie von dem Fragesteller in die Zange genommen werden.
    »Wenn der Officer noch Fragen hat, stehe ich ihm selbstverständlich zur Verfügung.« Sie spähte um Chase herum, damit sie Rick besser sehen konnte.
    Er