Für eine Nacht
machen konnte.
Der Mann blieb stehen, dann drehte er sich zu Sloane um. Gespenstisch vertraute goldene Augen starrten sie aus einem unrasierten, wettergegerbten Männergesicht an. »Samson?«, fragte sie zaghaft.
»Du bist deiner Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten«, stellte der Fremde fest – ohne Einleitung, ohne Vorwarnung, ohne jedwede Wärme.
»Darf ich das als Kompliment betrachten?« Sie schluckte hart, um den ersten Schock zu überwinden. Nach all ihrer ganzen nervenaufreibenden Suche stand ihr leiblicher Vater vor ihr. Einfach so.
»Betrachte es, als was du willst.« Einen verlegenen Moment lang begegneten sich ihre Blicke, dann wandte er sich abrupt ab.
Panik stieg in ihr auf. »Geh nicht! Bitte.«
Er blieb stehen, drehte sich aber nicht zu ihr um.
»Warum bist du hergekommen?«, fragte sie leise. Ob dieselbe Ahnung, die sie zu dem alten Baumhaus geführt hatte, auch seine Schritte hierher gelenkt hatte? Hatte das Schicksal seine Hand im Spiel gehabt?
Er zuckte die Achseln. »Es gibt ja nicht viele Orte, wo ich sonst hingehen könnte.«
»Dein Haus, ich weiß. Es tut mir Leid, dass es abgebrannt ist.«
»Wenn du nicht selbst das Streichholz angezündet hast, muss dir gar nichts Leid tun.«
Sloane öffnete und schloss nervös die Hände. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass sich jemand Gedanken um ihn machte. Hoffentlich blieb ihnen genug Zeit, einander etwas näher kennen zu lernen. »Aber warum bist du ausgerechnet hierher gekommen? Und warum gerade jetzt?«
»Weil ich es satt hab, andauernd vor den Cops auf der Hut zu sein.«
»Wie bitte?« Sie widerstand dem Drang, ein Stück näher zu kommen, weil sie fürchtete, er würde doch noch davonlaufen.
»Ich kann mich in der Öffentlichkeit nicht blicken lassen. Deswegen bin ich hierher gekommen. Das tue ich öfter, wenn die Kids in der Schule sind.«
»Weil das Baumhaus für dich mit Erinnerungen verbunden ist?«, fragte sie behutsam.
Zur Antwort grunzte er nur.
Sloane wertete das als ein Ja. Er war also nicht nur ein Eigenbrötler, sondern lebte auch noch weitgehend in der Vergangenheit. Seine Geschichte wurde immer trauriger, und obwohl sie froh war, ihn endlich getroffen zu haben, sah sie ihr eigenes Leben plötzlich in einem anderen Licht. Die Chancen, die Michael Carlisle ihr gegeben hatte, waren Samson verwehrt geblieben.
»Ich muss gehen.«
»Aber ich möchte mehr über dich wissen.« Fieberhaft suchte sie nach den richtigen Worten, um ihn aufzuhalten. »Und ich habe gehört, du wolltest mich kennen lernen.«
Er musterte sie finster. »Ich wollte dich bloß einmal aus der Nähe sehen. Um ganz sicher zu gehen. Das ist alles.«
Mehrere Leute hatten ihr von Samsons ungepflegter, zerlumpter
Erscheinung berichtet. Sie hatte auch gehört, dass er mürrisch und ungesellig sein sollte, hätte aber nie gedacht, er könne auch sie so grob und unfreundlich behandeln. Was hast du denn erwartet, Sloane? Eine glückliche Familienwiedervereinigung? , fragte sie sich ärgerlich. Auf die würde sie lange warten können. Samson war weder ein Chandler noch ein Carlisle. Sie durfte keine zu hohen Erwartungen an ihn stellen. Schließlich war sie ja von mehreren Seiten gewarnt worden.
Aber sein Blut floss auch in ihren Adern, und sie würde sich nicht klammheimlich aus seinem Leben stehlen. Mit ihrer Enttäuschung konnte sie später fertig werden. Im Moment war sie nicht gewillt, kampflos aufzugeben.
»Du wolltest ganz sicher gehen, dass ich wirklich deine Tochter bin?«, fragte sie, wohl wissend, dass sie sich auf dünnes Eis begab.
»Genau.« Er streckte eine Hand aus, als wolle er sie berühren, dann ließ er sie wieder sinken. »Du hast Jacquelines Haar und die Augen meiner Mutter. Du bist unverkennbar mein Fleisch und Blut. Wer hat dir denn erzählt, dass der allmächtige Senator nicht dein Vater ist?« Er bemühte sich noch nicht einmal, ein Mindestmaß an Taktgefühl an den Tag zu legen.
Sein Tonfall verriet deutlich, dass er auf den Senator wütend war und ihm nicht über den Weg traute. Auch das verstand sie. Aber Michael traf in diesem Fall nicht die alleinige Schuld, und das musste sie Samson begreiflich machen.
Vor allem, wenn sie erreichen wollte, dass Michaels Männer ihn fortan in Ruhe ließen. »Mein Vater ... ich meine, Senator Carlisle hat selbst zugegeben, dass ich nicht seine leibliche Tochter bin«, erwiderte sie in dem Versuch, zumindest halbwegs bei der Wahrheit zu bleiben.
Samsons Kopf fuhr hoch, und ihre Blicke
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