Für einen Kuss von Frisco
gedrückt.
Mit den Lippen streifte er ihre Wange, und Mia schössen erneut die Tränen in die Augen. Vielleicht fand er es ja doch nicht so beängstigend, dass sie ihn liebte. Vielleicht hatte er einfach nur ein paar Minuten gebraucht, um sich an den Gedanken zu gewöhnen, vielleicht mochte er ihn sogar. Vielleicht …
„Tasha glaubt, es ist absolut still hier drin.“ Seine Stimme klang rau.
„Das ist es auch.“ Die Kleine setzte sich in ihrem Bett auf.
„Leg dich wieder hin. Sonst funktioniert es nicht.“
Sie gehorchte, kam dann aber sofort wieder hoch. „Was machen wir denn?“
„Du legst dich wieder hin“, erklärte er leicht amüsiert und wartete, bis sie wieder still lag. „Wir sind hier, um zu überprüfen, ob es hier wirklich so still ist, wie du behauptest. Im Wohnzimmer ist es nämlich überhaupt nicht still, und draußen vor der Hütte erst recht nicht.“
„Nicht?“ Tasha setzte sich erneut auf, legte sich aber wieder hin, noch ehe Frisco sie auffordern musste.
„Nein, ist es nicht. Du musst ganz still liegen und horchen.“
Mia hielt den Atem an.
„Du irrst dich kräftig, Tash“, stieß Frisco nach einer Weile hervor. „Hier drin ist es so was von laut ! Ich war noch nie im Leben in einem Zimmer, in dem es so laut war.
Das Mädchen setzte sich auf. „Laut?“
„Leg dich wieder hin“, befahl er, „und sperr deine Ohren auf.“
Wieder herrschte Schweigen.
„Hörst du den Wind in den Bäumen flüstern?“, fragte Frisco leise. Mia schloss die Augen und lag ganz entspannt in seinen Armen. Sie spürte seinen Atem auf der Haut, während er leise weitersprach. „Hörst du die Blätter rascheln, wenn ein Windhauch hindurchfährt? … Und da … der Ast, hörst du es? Vermutlich ein toter Ast, der schon halb abgebrochen ist und den der Wind gegen die anderen Zweige schlägt, bis er ganz abbricht und zu Boden fällt. Kannst du es hören?“
„Ja“, hauchte Natasha.
Mia hörte es auch. Bis vor wenigen Augenblicken hatte sie die Geräusche ringsum überhaupt nicht wahrgenommen. Wieder fuhr ein Windstoß durch die Bäume, und sie hörte die Blätter rascheln. Flüstern, so hatte Frisco es genannt. Seine Beschreibungen hatten etwas Poetisches und waren dabei sehr präzise.
„Hörst du die Heuschrecken?“, fragte er. „Und das Zirpen der Grillen? Sie verstummen sofort, wenn sich etwas nähert. Was sie uns erzählen, wird am interessantesten, wenn sie keinen Mucks von sich geben.“
Er lauschte einen Augenblick.
„Auf der anderen Seite des Sees scheint jemand zu campen“, fuhr er dann leise fort. „Ich kann das Bellen eines Hundes hören. Ab und zu jault er. Wahrscheinlich ist er angebunden … und schhh! Hört ihr das Rumpeln? Das klingt nach einem Güterzug gar nicht weit von hier.“
Richtig! In der Ferne hörte Mia den schrillen Pfiff einer Lokomotive.
Es war umwerfend. Obwohl sie ihren Lebensunterhalt als Lehrerin für Geschichte verdiente, betrachtete sie sich als Künstlerin, aufgewachsen in einer Familie von Künstlern, die mit offenen Augen durchs Leben gingen, mit einem ausgeprägten Blick fürs Detail, den sie auch ihr vermittelt hatten. Sie konnte nicht so gut malen wie ihre Mutter, aber sie war keine schlechte Fotografin und brachte eindrucksvolle Bilder zustande. Von ihrer künstlerischen Ader abgesehen, betrachtete sie sich als liberale Feministin, die im Einklang mit ihrer Welt lebte, immer bereit war, sich sozial zu engagieren, und die Augen nicht vor der Not anderer verschloss. Sie war modern, einfühlsam, kreativ. Und dennoch hatte sie sich nie die Zeit genommen, wirklich einmal innezuhalten und den Geräuschen der Nacht zu lauschen.
Im Gegensatz zu diesem großen, steif wirkenden, eine Waffe tragenden Mustersoldaten, der körperliche Schmerzen ignorierte, als wäre er aus Stein – und die Geduld und Empfindsamkeit aufbrachte, im Rauschen der Blätter im Wind Musik zu vernehmen.
Mia hatte sich gewundert, dass sie sich in einen spröden, harten Berufssoldaten verliebt hatte. Aber vielleicht war das gar nicht so verwunderlich, wenn man den Kern unter der spröden, harten Schale dieses Mannes betrachtete. In ihm steckte viel mehr, unendlich viel mehr.
„Die Nacht ist niemals still. Sie ist lebendig, immer in Bewegung, und sie erzählt Geschichten. Man muss nur lernen, ihrer Stimme zu lauschen. Dann wird sie einem vertraut, und man fühlt sich wie zu Hause, wenn man ihre Geräusche vernimmt. Und trotzdem wird sie nie langweilig. Die Stimme mag immer
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