Für hier oder zum Mitnehmen?
war eine Modelagentur gewesen. Nicht irgendeine Modelagentur, sondern eine für lebensechte Typen. Nicht hübsch, sondern heftig. Die meisten Models in unserer Kartei waren Freunde und Kumpels, die sich neugierig auf das Projekt einließen. Klamotte und Shanti hätten wir sofort genommen. Den einzig nennenswerten Auftrag zogen wir im Umfeld einer Haarpflegeproduktmesse an Land. Gesucht wurden Männer, die bereit waren, sich eine Hälfte der Kopfbehaarung abrasieren zu lassen. Sie sollten auf der Messe im Look des Kunden, ein Hersteller von Haarwachstumsmitteln, herumlaufen und Flyer verteilen. Zu meiner Verwunderung fanden wir recht schnell Klienten, die den Job haben wollten. Die Bezahlung war großzügig, und Geldmangel war der große gemeinsame Nenner unserer Models. Der Job lief gut, auch unsere Provision konnte sich sehen lassen. Leider blieb es uns verwehrt, Folgeaufträge zu akquirieren, zur nächsten Messe existierte die Modelagentur schon nicht mehr.
Die Räume des Kellers sind etwas mehr als mannshoch. An der Decke verlaufen unzählige Rohre. Zu- und Abwasser, Gas- und Bierleitungen, Heizungsrohre. Es gluckert und zischt wie im Maschinenraum eines U-Bootes. Ich fühle mich gefangen, die Enge erdrückt mich. Die Tauchfahrt hat begonnen, zurück zum Hafen geht es nicht mehr.
Ich kontrolliere noch das Kühlhaus und das Trockenlager, alle Bestände sind hier ausreichend. Einerseits schont das meine nicht vorhandene Liquidität, andererseits schauen mich die nicht umgesetzten Waren stumm an, wie Mahnmale für den »unbekannten Gast«.
Im Weinregal finde ich einen weißen, abgenutzten Stoffbeutel. Darauf klebt ein handgeschriebener Zettel: »Wurde gestern von einem Gast vergessen. Ist genau meine Größe, würde ich gerne haben, wenn sie nicht abgeholt werden. MILENA «. Dahinter hat sie einen Smiley in einem Herzen gezeichnet.
Ein Paar elegante hochhackige Damenschuhe einer italienischen Schuhmarke, Größe 38, liegen in dem Beutel. Sie sind gebraucht, aber fast neu.
4.
MITDENKENDE MITARBEITER
K önnte es sein, dass wir uns noch nie bei Tageslicht gesehen haben?«
Ich sitze neben Magnus Mannerström am Tresen des Cafés, einige Tage, nachdem ich mir vorgenommen hatte, den Amerikaner zu bedienen, der seit diesem Entschluss aber nicht mehr aufgetaucht ist.
Magnus Mannerström ist Schwede. Ich bin Magnus früher einige Male im Nachtleben begegnet, hatte ihn aber mehrere Jahre nicht mehr gesehen. Er ist eine dieser Bekanntschaften, die man noch nie nüchtern und bei Tageslicht getroffen hat. Was im Nachtleben funktioniert, verliert bei Tag oft seine Kompatibilität. Bei unserer ersten Begegnung vor einigen Tagen im Café begrüßte ich ihn herzlich, aber kurz, und einem längeren Gespräch war ich bisher erfolgreich aus dem Weg gegangen. Ich hatte kein Interesse daran herauszufinden, ob wir im Tageslicht kompatibel wären oder nicht. Er sitzt seitdem täglich am Tresen, versteht sich hervorragend mit Milena und arbeitet an einem tragbaren Computer. Zumindest hat er viel an einem tragbaren Computer zu tun.
Ich weiß nicht viel über ihn. Früher studierte er Fotografie an der Konstfack in Stockholm und nervte jeden damit, dass er immer alles fotografierte. Eine seiner Semesterarbeiten hatte das Berliner Nachtleben zum Thema. Keine Ahnung, was für Fotos er aus diesen Zeiten von mir besitzt. Wenn damals jemand Besuch hatte, der nicht aus Berliner Gefilden kam, wurden die Nächte meist besonders, da man den Fremden schockieren und ihm das echte Berlin zeigen wollte. Der Fremde nahm den Ausnahmezustand in der Regel mehr als dankbar an. Ich will gar nicht darüber nachdenken, was wir damals noch alles angestellt haben, um nicht nur Magnus, sondern auch seinen Professor, der die Semesterarbeit abnehmen würde, nachhaltig zu beeindrucken.
Magnus hat nicht lockergelassen, in den letzten Tagen hat er mich immer wieder gedrängt, mit ihm einen Kaffee zu trinken. Für heute Morgen bin ich mit ihm verabredet. Als ich zur vereinbarten Zeit ankomme, sitzt er schon mit seinem aufgeklappten Computer an der Bar und redet mit Milena.
Heute, bei Tageslicht, empfinde ich ihn als anziehend und sympathisch. Er klappt seinen Rechner zu, strahlt mich an und berührt mich mit seiner kräftigen Hand in der Mitte meines Oberschenkels. Eine kleine Massage statt eines Händedrucks.
»Absolut! Das kann absolut sein, immer war das dunkel und laut, früher. Es ist ja absolut toll, dass wir einen Termin finden konnten. Den ganzen Tag
Weitere Kostenlose Bücher