Für hier oder zum Mitnehmen?
waren schon einige Monate vergangen. Als ich aber anschließend meine Eltern fragte, stimmte das Datum mit den Angaben des Glases überein. Meinen leichten Schockzustand und die Gesichtsblässe schoben meine Eltern auf die wiederaufflackernde Trauer um die Großmutter. Der arme kleine Kerl hat es immer noch nicht überwunden. Von der Séance wagte ich nicht zu berichten. Ich beruhigte mich aber mit allem, was mir an Rationalität zur Verfügung stand. Das Datum hatte ich doch in irgendeiner Form gewusst, und ich hatte meinen Finger ebenso am Glas wie die anderen Kinder.
Bis eben hatte ich diesen Vorfall erfolgreich aus meiner bewussten Erinnerung verdrängt.
Ich entfalte das zusammengerollte ›k‹. Es ist nicht das ›k‹ vom Schildermacher, passend zur Gestaltung der Tafel, sondern ein schnödes Baumarkt-›k‹. Noch nicht einmal im richtigen Schriftschnitt, es ist kursiv. Klamottes altes Postauto ist bereits wieder verschwunden. Auf meine telefonische Nachfrage teilt er mir mit, dass er sowieso im Baumarkt war und dachte, er könne doch schon mal ein ›k‹ mitbringen. Das richtige ›k‹ würde er schon noch besorgen, da solle ich unbesorgt sein.
Ich säubere die Tafel an der Stelle, an der das ›k‹ fehlt, und klebe es auf. Nun stimmt der Spruch wenigstens wieder: »Das Leben ist kein Ponyhof.«
Ich werde das Gefühl nicht los, dass Klamotte den Gang zum Schildermacher scheut, da er befürchtet, sich lächerlich zu machen. Ich werde noch mal nachhaken, auf die Feinheiten kommt es an. Und um die will ich mich von nun an mehr kümmern und die anderen, für das Geschäft unwesentlichen, groben Baustellen zu Ende bringen. Was ist eigentlich mit der Bewerberin, die sich für die Frühschicht vorstellen wollte? Ist sie gekommen, hat das Treiben gesehen und es sich dann anders überlegt?
»Du, die war hier, ja, aber du warst ja ganz schön beschäftigt, da habe ich ihr gesagt, dass der Job schon vergeben sei«, teilt mir Milena mit.
»Aber sie hätte doch warten oder ein andermal wiederkommen können. Wir suchen Leute! Der Job ist doch gar nicht vergeben.«
Milenas Aussage raubt mir mit einem Mal mehr Energie als die Naziputzfrau, der General und das Lebensmittelaufsichtsamt gemeinsam.
»Weiß ich doch alles. Aber was wäre das für ein Einstieg gewesen? Sie hat ja gesehen, was du mit dem General gemacht hast. Wie hättest du ihr danach denn begegnen wollen?« Sie senkt ihre Stimmlage, schiebt die Schultern, die Unterlippe vor, streckt die Hand zum Handschlag aus. »Hallo, ich bin übrigens der Chef. Willst du hier arbeiten?«
Sie runzelt lächelnd die Stirn.
Fassungslos stehe ich da, und kein Wort will aus meiner Kehle kommen. Im Bruchteil einer Sekunde durchströmen mich unterschiedliche Gefühle, sie werfen mich wie ein Boot auf dem tosenden Meer hin und her. Trauer, Zorn, Mitleid, Hilflosigkeit, Zuneigung, Angst. Sie zieht die Schlinge weiter zu.
»Sonst ruf sie doch noch mal an, sie hat auf jeden Fall eine Menge Erfahrung und sieht auch gut aus. Ich habe ein bisschen mit ihr gequatscht. Sag mal, diese Séance, kann ich da mitmachen?«
Da ist sie wieder. Die Milenaverwirrung. Woher weiß sie schon von der Séance, der ich gerade erst widerwillig zugestimmt habe? Handelt sie böswillig, oder ist sie überzeugt von dem, was sie tut, und will mir wirklich helfen? Versteckt sich dahinter am Ende echte Zuneigung? Eifersucht auf eine mögliche Konkurrentin?
Ich habe den General schachmatt gesetzt, da sollte Milena keine große Herausforderung sein. Sie hat ja nicht einmal einen Rollstuhl.
An dieses neue rauschhafte Generalgefühl erinnere ich mich gerne, das möchte ich in nächster Zeit öfter empfinden dürfen.
Die Bewerberin werde ich anrufen und zurückholen. Wenn sie tatsächlich so viel Erfahrung hat, wie Milena sagt, sollte ich mich um sie bemühen, und wenn sie gutaussehend ist, könnte ich an Milenas Verhalten ihr gegenüber ablesen, was Milena mir gegenüber wirklich empfindet.
11.
TRANSFORMATION UND VOLLENDUNG
S elig sind die Toten, die in dem Herrn sterben«, steht auf dem ersten gusseisernen Kreuz, an dem man vorbeigeht, wenn man den Garnisonsfriedhof betritt. Der Friedhof liegt eine Straßenecke weit entfernt vom Café, etwas versteckt am Beginn der Kleinen Rosenthaler Straße. Er ist von einer hohen Mauer umgeben. Brachen, unsanierte Altbauten, Plattenbauten und ein besetztes Haus sind seine direkten Nachbarn. Hinter dem legendären, nicht mehr existenten Club Eimer liegt er.
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