Für hier oder zum Mitnehmen?
gesammelt. Er klärt mich über das Gleichstellungsgesetz auf und wirft mir Diskriminierung vor. An der Art, wie er seine Sätze formuliert, spüre ich, dass er sie bereits oft ausgesprochen und angewendet haben muss.
Ich fackele nicht lange. Mein Zorn entlädt sich an den beiden Speichen wie an einem Blitzableiter. Mit einem Urschrei reiße ich sie einfach raus. Raus aus dem Holz des Türrahmens und raus aus dem Rollstuhl. Kurz verharre ich mit den abgerissenen Speichen in der Hand vor dem General und knurre ihn an. Er die Freiheitsstaue, Kleingeld anstelle der Fackel, ich Zeus, Speichen anstelle der Blitze.
Unter seinem anhaltenden Gezeter und Geschimpfe begebe ich mich wieder in den Gastraum, hinter den Rollstuhl. Der General schreit von Sachbeschädigung und Freiheitsberaubung. Nach einem Nazivergleich macht er eine kleine Erholungspause. Die nutze ich, um ihn im Gegenzug über die Hausrechte eines Gastwirtes aufzuklären, während ich ihn zum barrierefreien Ausgang schiebe.
»Ich habe hier das Hausrecht, und daher erteile ich dir hiermit unter Zeugen ein Hausverbot. Solltest du diesem Hausverbot zuwiderhandeln, rufe ich ohne weitere Vorwarnung die Polizei. Das Gleiche gilt für deinen Freund Fred. Wenn er mag, kann er sich den Text auch gerne noch mal persönlich abholen kommen.«
Meine Stimme ist laut, aber auch von einem Vibrato geprägt, geschuldet der Adrenalinmenge in meinem Kreislauf.
Der General gibt auf. Seine hochgestreckte Hand schließt sich, und der Arm wird eingefahren. Als wir auf die Straße treten, spüre ich, dass er den Rollstuhl selber antreibt, ich lasse ihn los, um zu sehen, wohin er fahren will.
»Ick werde mich beim Behindertenbeirat vom Senat beschweren. Wirst schon noch sehen, wat de von deinem beschissenen Verhalten hast. Nazi!«
»Gerne! Viel Erfolg wünsche ich! Und nicht vergessen: Hausverbot bitte auch Fred ausrichten!«
Der General rollt in recht hohem Tempo, das ich ihm gar nicht zugetraut hätte, die Torstraße in Richtung Alexanderplatz entlang. In dieser Richtung befindet sich auch das Rathaus Mitte, mit Sitz des Behindertenbeirates des Bezirks. Es liegt hinter dem alten Kino International – im Kino war ich schon lange nicht mehr.
Der General stößt weitere Beleidigungen aus. Er passiert den U-Bahneingang, die Lieferantenhaltebucht vor unserem Küchenfenster, fährt fast Klamotte über die Füße, der gerade aus der Seitentür seines Lieferwagens springt, hält kurz an, schimpft auf Klamotte, das übliche berlinerische »kannste nich uffpassen, wode hinlatschst«, und zischt ab.
Klamotte schaut mich an, schaut dem General hinterher, zieht anerkennend die Mundwinkel nach unten. Müde klatschend, aber zustimmend nickend kommt er auf mich zu, schüttelt mir die Hand zum Gruß und sagt: »Dem hastet aber jezeigt, wa?«
Während mich ein neues rauschhaftes Gefühl durchströmt, habe ich gleichzeitig ein schlechtes Gewissen. Hatte ich Fred und den General in dem verzweifelten Versuch, Erfolg zu erlangen, missbraucht? Wollte ich mit ihrer Anwesenheit das Café voller aussehen lassen, um das Gesetz der kritischen Masse in positive Wirkung zu bringen? Vielleicht hätte ich zu einem früheren Zeitpunkt meiner inneren Stimme folgen und die beiden des Hauses verweisen sollen. Andererseits hätten sie sich an die Regeln halten können. Aber der schlafende General hat doch eigentlich gar nicht gestört.
Ich muss an den jungen Kaplan denken, dem ich die schönen Seiten meiner kurzen Messdienerzeit zu verdanken habe. Er hatte mir einmal Aggressionshemmung attestiert.
»Der Herr hat uns die Wut als eine starke Waffe geschenkt. Hab keine Angst vor deiner Wut. Wenn du sie missachtest, so wird Gott sie steuern, und nicht du.«
Die Worte des Kaplans machten mir damals Angst. Die ungelebte Wut werde nicht verschwinden, sondern sich irgendwann an andere Dinge heften, ob ich das wollte oder nicht. Aber der Kaplan forderte mich zu einer Unmöglichkeit auf. Ich wollte mich doch nicht vom Teufel zum Veitstanz bitten lassen. Meine Fähigkeit, immer und in jeder Situation ruhig zu bleiben, hielt ich für eine Tugend, ich fühlte mich damit anderen überlegen und mächtig.
Ich verdrängte die beängstigende Aufforderung und ging mit geheim gehaltener Wut durch das Leben, bis heute, bis der General in meinem Café einschlief. Heute habe ich meine Wut nicht selber gelenkt, sondern eine fremde Macht.
Ich nehme mir vor, mich bei der nächsten Begegnung mit dem General zu versöhnen. Ihm
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