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Für hier oder zum Mitnehmen?

Für hier oder zum Mitnehmen?

Titel: Für hier oder zum Mitnehmen? Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ansgar Oberholz
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Berlin-Mitte-Klischees erfüllt er in keiner Weise und liegt doch mittendrin im Scheunenviertel. Ich entdeckte ihn während der Sanierungsphase des Cafés als einen Ort der Ruhe und Abgeschiedenheit. Immer noch ein Geheimtipp, und immer noch sind selbst alteingesessene Berliner überrascht, wie schön er ist, wenn ich sie dorthin führe.
    1945 wurde die letzte Beerdigung vorgenommen. In den letzten Kriegstagen verscharrte man mehr als eintausend Tote, meist Zivilisten, in einem Massengrab in der hintersten Ecke des Geländes. Bis dahin wurden nur höhere preußische Offiziere dort begraben, einige der protestantisch-prunkvollen Offiziersgräber sind noch vorhanden. Die meisten sind verschwunden, und so wirkt der Friedhof mehr wie ein Park mit großen alten Platanen. Nach dem Krieg wurde alles zu Brennholz verarbeitet, was Baum war. Genau sechzig Jahre müssten die Platanen also alt sein. Ein Menschenleben.
    Nach diesem wilden Morgen heute mit dem Medium und dem General durfte ich bis zum Nachmittag fast ungestört im Lüftungsraum meine Arbeit verrichten. Gestört wurde ich durch den Handelsvertreter des Erfrischungsgetränkekonzerns. Diesmal gab ich mich als Chef aus. Er befand, dass ich ihm irgendwie bekannt vorkäme. Er bot mir an, die Kosten für die Änderung der Speisekartentafeln zu übernehmen, die nötig seien, um seine Marken dort zu präsentieren. Unter der Voraussetzung, dass alle anderen kleinen Erfrischungsgetränkeherstellermarken von den Tafeln verschwänden, könne er sich vorstellen, sogar noch einen hübschen Betrag draufzulegen. Ich lehnte sein Angebot höflich ab. Das ging nicht einfach von der Hand, der Mann hatte jahrelange Erfahrung im Brechen von Widerstand. Am Ende musste ich ihn fast rausschmeißen, darin hatte ich heute Erfahrung gesammelt.
    Magnus erinnerte ich nochmals an die Fertigstellung des Schichtplanes. Er versprach mir, ihn am nächsten Morgen endgültig fertig zu haben.
    Ich verschaffte mir einen Überblick über meine zu erledigenden Aufgaben und versuchte sie zu priorisieren. Das oberste Ziel musste die Umsatzsteigerung sein. Daher setzte ich mich an die Planung des Mittagstischangebots. Die Speisen sollten in Form einer Wochenkarte präsentiert werden. Die wollte ich vervielfältigen und persönlich bei allen mir bekannten und unbekannten Agenturen und Büros um den Rosenthaler Platz herum verteilen.
    Die Gerichte sprach ich mit Shanti ab, der Mayakalender erlaubte uns die Hoffnung, dass sie auch schmecken und wir mit ihnen Erfolg haben könnten.
    »Nächste Woche ist perfekt, um mit der Wochenkarte zu beginnen. Der Mittwoch, der die Woche beherrscht, steht im 6. Siegel des Uinal, das steht für den machtvollen Tod.«
    »Das klingt für mich nicht unbedingt nach einem günstigen Anfang«, gab ich zu bedenken.
    »Du solltest deinen Geist erweitern, weg von eurem kleinen westlichen Horizont. Der Tod steht vor allem für den Wandel, nicht für das Ende. Zudem haben wir dann Ton 9, der steht für Vollendung. Also kann man in dieser Zeit Transformation in Richtung einer Vollendung erwarten.«
    Shanti hatte sich wieder ganz beruhigt, seinen Finger hatte er erfolgreich ohne fremde Hilfe verbunden und mit einem Überzug geschmückt.
    »Transformation und Vollendung klingt genau nach dem, was ich gerade gut gebrauchen kann. Aber was ist das für ein Überstülper, den du da am Finger trägst?«
    »Das ist ein Latex-Wundschutz-Fingerling. Habe ich in der Apotheke gekauft, die Quittung liegt in der Kasse. Ist im Prinzip ein sehr kleiner Kondom.« Er grinste mich an.
    Dörte, die alte, klapprige Hündin, Florians einziges Andenken an seine Münchner Ehe, unterbrach unsere Unterhaltung hechelnd und winselnd. Sie war unerlaubterweise in die Küche gekommen.
    Shanti freute sich darüber und beugte sich zu ihr hinunter. Dörte war vor allem an Shantis Verletzung interessiert. Gab es Kondome für Hunde? Püppikondome?
    Ich fasste Dörte am Halsband und zog sie aus der Küche in den Gastraum zu ihrem Herrchen.
    Ich war lange Zeit nicht mit Florian verabredet gewesen. Ich hatte beschlossen, dass es mir guttäte, meine Sozialkontakte wieder zu beleben, auch um meine zwischenmenschlichen Messinstrumente zu eichen, die seit geraumer Zeit nur mit Daten von Mitarbeiterbeziehungen gefüttert worden waren.
    Er holte mich im Café ab, und in Anbetracht des schönen Herbstnachmittags suchten wir den Garnisonsfriedhof auf, den auch er und Dörte noch nicht kannten.
    Am Tiefpunkt seiner Beziehungskrise

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