Fuer immer 2 - die Liebe
Krieg ist vorüber, und ich habe gehört, dass die Bomben der Deutschen in jenem Teil des Landes nicht allzu großen Schaden angerichtet haben. Wenn er jemals eine Chance haben soll, Hamsa, dann müssen wir diese Gelegenheit ergreifen.«
Mamas Stimme klingt immer noch besorgt. »Was ist mit den Gerüchten einer Loslösung Indiens von England? Was, wenn so etwas geschieht und er ist so weit fort von hier?«
»Wenn es tatsächlich eine Loslösung geben sollte, dann wird sie friedlich und geordnet vonstattengehen. So oder so, dort, wo er hingeht, wird er in jedem Fall in Sicherheit sein. Wir müssen einfach darauf vertrauen, dass wir das Beste für ihn tun.«
Varuns ruhiger und gleichmäßiger Atem sagt mir, dass er noch schläft. Weder die Unterhaltung meiner Eltern noch die Düfte aus der Küche haben ihn geweckt. Ein paar Minuten später höre ich, wie leise Schritte sich nähern und im Türrahmen haltmachen, und rieche das parfümierte Öl, das meine Mutter benutzt. Weil meine Augen so schlimm verletzt wurden, kann sie nicht erkennen, ob ich schlafe oder wach bin.
»Ich bin wach«, sage ich leise.
»Du hast Ohren bekommen wie ein Luchs, mein Kleiner.« An ihrem Tonfall kann ich hören, dass sie lächelt, aber ich habe das Gefühl, dass es kein so leichtes und unbeschwertes Lächeln ist wie sonst. »Das Frühstück ist gleich fertig.«
»Dann werde ich Varun wecken«, erkläre ich und schiebe meine Decke beiseite.
»Ja, tu das. Danke, mein Liebling.« Sie fragt sich, ob ich das Gespräch zwischen ihr und Papa mit angehört habe, das kann ich spüren, aber ich lasse mir nichts anmerken. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, auf eine Blindenschule in England zu gehen. Einerseits wäre es besser, als den Rest meines Lebens tagein, tagaus hier im Haus zu hocken. Zuerst hat es mir ja gefallen, dass ich nicht mit den anderen in die Schule musste, aber in letzter Zeit hätte ich sogar Miss Mehtas langweiligen Geschichtsunterricht in Kauf genommen, um endlich mal wieder nach draußen zu kommen. Andererseits ist der Gedanke, blind und mutterseelenallein in einem fremden Land zu sein, das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann. Was, wenn ich mich verlaufe und nicht mal meine Augen gebrauchen kann, um den richtigen Weg zu finden? Neulich haben wir die Kriegsberichterstattung im Radio gehört, und obwohl Papa gesagt hat, dass der Teil von England verschont geblieben ist, sehe ich mich zwischen ausgebombten Gebäuden umherirren, während der Himmel über mir vom Lärm der Flugzeuge dröhnt, so wie wir es in den Nachrichtenfilmen im Kino gesehen haben. Ich brauche Zeit, um darüber nachzudenken, doch ich weiß auch, dass Papa selten seine Meinung ändert, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat. Varun zum Beispiel hat seit Jahren darum gebettelt, dass sie ihn in ein Internat schicken, doch die Antwort lautete immer Nein.
Ich spüre den warmen Boden unter meinen Füßen und tappe vorsichtig zum Bett meines Bruders hinüber. »Aufstehen!«, rufe ich laut ungefähr dorthin, wo sein Kopf liegt.
Er schreckt hoch. »Dummkopf!«, schreit er und stößt mich so heftig zurück, dass ich rücklings zu Boden falle, aber dann fangen wir beide an zu lachen. Varun kann zwar manchmal ein richtiger Blödmann sein, aber er behandelt mich als Einziger einigermaßen normal. Nur in den ersten Monaten nach dem Unfall hat er ständig geheult und sich jeden Tag dafür entschuldigt, dass er diesen Riesenböller angeschleppt hat. Das war schrecklich. Jetzt ist er einfach wieder mein nervender großer Bruder und darüber bin ich glücklich.
»Ich bin nicht dumm!«, rufe ich und werfe mich auf ihn. »Ich werde nämlich bald in England zur Schule gehen!«
Als die Gegenwart wieder vor meinen Augen auftaucht, sehe ich die drei Frauen gerade noch am Ende des Weges verschwinden. Ich schüttele mich ein wenig und hoffe, dass ich nicht allzu offensichtlich weggetreten war. Noch einmal sehe ich in meinem Kopf die Bilder des Abends, als der Feuerwerkskörper direkt vor mir explodierte und ich mein Augenlicht verlor. Bin ich nach England gegangen? Habe ich gelernt, Blindenschrift zu lesen? Ich berühre meine Fingerspitzen und frage mich, ob die Fähigkeit wohl noch in ihnen gespeichert ist. So wie ich Italienisch sprechen kann, weil ich in einem anderen Leben Italienerin war.
»Eine Erinnerung?«, fragt Janine.
»Ja, aus Indien. Die hatte ich in letzter Zeit häufiger.« Ein bisschen verlegen betrachte ich den Boden.
»Indien, das ist
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