Fuer immer 2 - die Liebe
bekommen noch ein Baby, und sie wollten nicht, dass es jetzt schon jemand erfährt.
»Ich fühle es eben«, sage ich und versuche, meine Überraschung zu verbergen.
»In letzter Zeit ist kein Geheimnis mehr vor dir sicher …« Sie spricht nicht weiter, aber ich weiß, was sie meint. Seit ich mein Augenlicht verloren habe, empfinde ich alles andere sehr viel stärker, Geräusche sind lauter, Berührungen sind intensiver, und jene kleine innere Stimme wird immer klarer und sicherer.
»So sollte es doch auch sein, oder?«, frage ich lächelnd. »Und du wirst bald ein neues Baby haben und mich gar nicht so sehr vermissen.«
Mama drückt mich an sich. Ich kann sie zwar nicht sehen, aber ich atme tief ihren vertrauten Geruch ein und fühle ihren Herzschlag. »Oh doch, ich werde dich genauso sehr vermissen«, antwortet sie, und auch ohne die Bestätigung durch meine innere Stimme weiß ich, dass sie die Wahrheit sagt.
Ich blinzele ein paarmal, denn es ist so stockfinster um mich herum, dass ich nicht sagen kann, ob meine Augen offen oder geschlossen sind – genau wie in meinem Traum. Ich liege eine Weile still da und lasse mir das, was ich darin gesehen habe, noch einmal durch den Sinn gehen, und mir wird klar, dass es kein Traum war, sondern eine weitere Erinnerung.
Langsam erkenne ich in dem dämmrigen Licht die Umrisse meines Zimmers und sehe, dass es hinter den geschlossenen Vorhängen allmählich hell wird. Ich wundere mich, dass ich überhaupt eingenickt bin. Wie eine Flutwelle brechen die gestrigen Ereignisse wieder über mich herein. Ich rolle mich zusammen, mache mich ganz klein und sehe immer wieder das Bild vor mir, wie Rayne in dem Bett weggeschoben wird, der Beatmungsbeutel in der Hand der Krankenschwester das Einzige, was sie am Leben hält.
Ich schwinge mich auf die Bettkante und taste nach meinem Handy. Keine neuen Nachrichten. Ich zögere kurz, doch dann beginne ich zu tippen. In so einer Situation spielt es keine Rolle, ob es noch sehr früh am Morgen oder schon mitten in der Nacht ist.
Wie geht es ihr?
Es dauert nur ein paar Sekunden, bis Peter antwortet.
Unverändert. Darf nicht zu ihr.
Ich sehe ihn vor mir, wie er völlig erschöpft auf den harten Plastikstühlen des Wartebereichs hockt. Vielleicht gönnt er sich ja eine kleine Pause, wenn ich ihn ablöse.
Ich komme. Kaffee?
Ja bitte. Am besten eine ganze Kanne.
Hastig schlüpfe ich in meine Jeans, versuche, die Bilder in meinem Kopf zu verdrängen und vorerst nur an den Weg zum Krankenhaus zu denken. Ich kritzele eine kurze Nachricht auf einen Zettel und schleiche mich so leise und schnell, wie ich kann, aus dem Haus, bevor jemand aufwacht und mich fragt, wohin ich so früh am Morgen will. Mom und Dad würden sagen, dass ich im Moment sowieso nichts für Rayne tun kann. Sie würden nicht verstehen, dass ich nicht wegen Rayne dorthin muss, sondern vor allem meinetwegen, weil ich es sonst einfach nicht aushalte.
Ich renne die Haight Street hinunter, biege um die Ecke und gehe dann ein paar Schritte, um wieder zu Atem zu kommen. Die Straßen sind fast menschenleer und die Gitter vor den Geschäften sind noch heruntergelassen, doch aus den Cafés, die sich auf den morgendlichen Ansturm vorbereiten, dringt schon Kaffeeduft. Die wenigen Menschen, an denen ich auf dem Bürgersteig vorüberkomme, liegen unter Bergen von Lumpen oder in verschlissenen Schlafsäcken in Hauseingängen, neben sich die noch leeren Pappbecher zum Kleingeldsammeln.
Im Café herrscht bereits geschäftiges Treiben. Ich werfe einen Blick auf den Tisch hinten in der Ecke und habe einen Moment lang den verrückten Gedanken, Veronique könnte wieder dort sitzen, doch zu meiner Erleichterung sehe ich dort nur fremde Gesichter. Ich bestelle drei Becher Kaffee auf einem Papptablett und stopfe mir die Taschen mit Zuckertütchen voll, weil ich nicht weiß, wie Peter und Raynes Mom ihren Kaffee mögen.
Die Bushaltestelle ist direkt vor dem Krankenhaus, ich muss nicht weit laufen, bevor ich den Eingangsbereich erreicht habe und mit dem Tablett in der Hand auf die Aufzüge zusteuere. Der Wachmann an der Information schenkt mir keinerlei Beachtung.
Im Warteraum auf der zehnten Etage angekommen, sehe ich Peter auf mehreren Stühlen ausgestreckt liegen. Er ist allein, in einer Ecke läuft unbeachtet der Fernseher. »Danke«, sagt er erschöpft, als ich ihm den Kaffeebecher reiche. Er ist ziemlich fertig, aber mit den dunklen Ringen unter seinen Augen und dem unrasierten Kinn
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