Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
die Tanzmusik bis in die frühen Morgenstunden reichen.
Er war froh, dass er etwas hatte, womit er sich ablenken konnte. Die Enthüllung seiner Mutter machte ihm immer noch zu schaffen – vor allem die Vorstellung, dass sein Onkel Adrian plötzlich sein Stiefvater sein sollte, auch wenn die beiden nichts davon erwähnt hatten, dass sie heiraten wollten. Er musste sich eingestehen, dass die ganze Geschichte ihm schwer auf den Magen geschlagen war. Okay, er wusste, dass sein Vater kein Engel war. Niemand hatte es je laut ausgesprochen, aber er hatte immer gewusst, dass Philip fremdging. Man brauchte nur zu hören, wie seine Mutter seufzte, wenn er anrief, um Bescheid zu sagen, dass er mal wieder später nach Hause kommen würde, und zu erleben, wie gut gelaunt sein Vater sich am nächsten Tag gebärdete. Er versuchte es gar nicht zu vertuschen, wenn er von einem seiner Flittchen kam; Philip entschuldigte sich nie, erst recht nicht für etwas, das er nicht mal zugab. Deswegen hatte Harry sich immer verpflichtet gefühlt, besonders nett zu seiner Mutter zu sein. Und wenn er im Internat war, hatte es ihn stets bedrückt zu wissen, dass sie allein und unglücklich zu Hause hockte, wohlwissend, dass ihr Mann mit jungen Studentinnen flirtete – und Schlimmeres. Im Grunde genommen konnte er also voll und ganz verstehen, dass sie sich von seinem Vater getrennt hatte, aber dass sie sich ausgerechnet mit Adrian zusammengetan hatte, schockierte ihn. Er wusste selbst nicht so genau, wieso er so eine Wut im Bauch hatte. Wahrscheinlich war er eifersüchtig. Eifersüchtig darauf, dass nun Spike die Aufmerksamkeit seiner Mutter bekommen würde, während er in Bristol mit dem Medizinstudium anfangen und ins Erwachsenenleben eintreten würde, obwohl auch er sich im Moment wie ein kleiner Junge fühlte und am liebsten losgeheult hätte.
Er war ein Weichei. Kein Wunder, dass Florence ihn fallen gelassen hatte wie eine heiße Kartoffel. Und das machte ihn zusätzlich wütend: dass auch sie zu der Party kommen würde. Nach dem Fiasko mit ihr im Juni, kurz nachdem er die Schule abgeschlossen hatte, war er nach Hause geflüchtet und hatte im Schloss Warwick einen Job als Fremdenführer angenommen. Jetzt war er wegen der Party zurückgekom men. Schließlich war es eine Familientradition, und es würde die letzte Party sein. Und jetzt, zwei Monate später, hoffte er inständig, dass er nichts empfinden würde, wenn er Florence begegnete.
Sarah bemühte sich, Ruhe zu bewahren bei der Aussicht, dass die Mädchen ihr helfen wollten, ihre Plätzchen in Form von Strandhütten mit Zuckerguss zu bestreichen. Sie hatte hundert Stück gebacken – gar nicht so einfach unter den primitiven Bedingungen hier –, und jetzt lagen sie alle auf dem Tisch ausgebreitet, während sie Zuckerguss in Rosa, Blau, Grün und Gelb anrührte. Am besten, sagte sie sich, gab sie den Kindern zehn Stück zum Bepinseln, die konnten sie dann verhunzen, so viel sie wollten, und den Rest würde sie selbst übernehmen. Sie hatte eine Ausstechform in Gestalt eines Häuschens aufgetrieben, und die fertigen Kekse würde sie mit bunten Streifen dekorieren. Die Kinder würden sich darüber freuen. Jeder musste etwas zum Buffet beitragen, und sie hatte etwas ganz Besonderes machen wollen. Etwas, das sie von der Tatsache ablenkte, dass Ian sich weigerte zu kommen.
Es war der schlimmste Sommer ihres Lebens gewesen. Ian wurde einfach nicht damit fertig, dass man ihn entlassen hatte. Anfangs war er noch ziemlich optimistisch gewesen, hatte alte Kontakte aufgewärmt und sich auf Stellen beworben, die in der Zeitung oder im Internet ausgeschrieben waren, aber mit der Zeit war sein Elan verebbt. Er war verbittert und jähzornig geworden. Irgendwann hatte er ganz aufgehört, sich zu bewerben, unter dem Vorwand, es sei erniedrigend, immer wieder abgelehnt zu werden. Sarah hatte sich bemüht, verständnisvoll zu sein, aber innerlich war sie immer mehr in Panik geraten. Was, wenn er wirklich keine Arbeit mehr fand? Sie versuchte, ihr Geschäft auszubauen, nahm jeden Auftrag an, den sie kriegen konnte, aber wenn die Kinder nicht in der Schule waren, war es ziemlich schwierig, denn obwohl Ian fast immer zu Hause war, schien er es nicht als seine Aufgabe zu betrachten, sich um die Mädchen zu kümmern. Hinzu kam, dass ihr Agent, dem sie die Idee für die Jugendbuchreihe über die Vampirnixen geschickt hatte, sich immer noch nicht bei ihr gemeldet hatte, und das war ziemlich entmutigend.
Zu
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