Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
vergrub sie ihr Gesicht an seinem Hals. Es war nie einfach, über die glitschigen Felsen zu gehen, erst recht nicht, wenn man ein ängstliches Kind in den Armen hielt. Es hätte Adrian sein können, der sich an ihn klammerte, dachte David, während er sich seinen Weg durch das steigende Wasser bahnte. Wo war die Zeit bloß geblieben?
Einmal rutschte David aus, schlug sich das Knie auf, war jedoch schnell wieder auf den Beinen, dann musste er noch einmal springen, und schon waren sie am Strand und in Sicherheit.
Das Mädchen wollte ihn gar nicht loslassen. Es flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Ich will zu meiner Mama.«
»Na klar«, sagte er. »Wir suchen sie. Seid ihr nur heute hier?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Seid ihr hier in Ferien?«
Sie sah ihn verständnislos an.
»Wie heißt denn deine Mama? Wir können zum Strandwächter gehen, der hat ein Megafon.«
Die Kleine schien nachzudenken.
»Wie heißt deine Mama?«, fragte David noch einmal.
Schweigen.
»Alison«, brachte sie schließlich heraus. »Ja, Alison«, wiederholte sie noch einmal, wie um zu bekräftigen, dass sie sich ganz sicher war.
»Na, prima.« David überlegte, ob er sie absetzen sollte, aber sie klammerte sich immer noch fest, und so entschloss er sich, sie zu tragen. Sie wog ja fast nichts. Er suchte den Strand nach dem Wagen des Strandwächters ab und ging dann in seine Richtung.
»Da«, sagte die Kleine plötzlich und zeigte auf die ersten Strandhütten. »Da wohnen wir.«
»In einer Hütte?«
»In der grünen.«
»Da habt ihr aber Glück. Diese Hütten sind etwas ganz Besonderes.«
Sie reagierte nicht. Vielleicht stand sie unter Schock? David ging auf die grüne Hütte zu; der heiße Sand brannte unter seinen Füßen.
»Was glaubst du, wie deine Mama sich freuen wird!«
In ihrem ganzen Leben hatte Alison noch nie solche Angst ausgestanden. Wie würde sie es sich je verzeihen können, wenn Chayenne etwas zustieß? Sie guckte sich die Augen aus dem Kopf in der Hoffnung, Mike unter den vielen Leuten auszumachen, zu sehen, wie er mit Chayenne an der Hand zurückkam, aber es war zwecklos.
»Guten Tag!«
Sie fuhr herum. Ein großer Mann kam auf sie zu. Er hatte ein Kind auf dem Arm. Chayenne.
Alison wurde ganz schwindlig vor Erleichterung, und sie bekam einen trockenen Mund, als der Mann näher kam.
»Ihre Tochter saß auf einem Felsen«, sagte er. »Sie hat ein kleines Abenteuer erlebt.«
Gott sei Dank machte er ihr keine Vorhaltungen. Das würde sie jetzt nicht verkraften. Sie streckte die Arme aus.
Chayenne schaute sie an. Alison rechnete mit dem üblichen versteinerten Blick, fürchtete, Chayenne würde vor ihr zurückweichen. Sie betete, dass das nicht passierte, denn das würde ihrem Retter bestimmt sehr merkwürdig vorkommen. Aber zu ihrer eigenen Verwunderung streckte Chayenne sich ihr entgegen. Ungläubig nahm Alison sie in die Arme, das Herz wollte ihr schier zerspringen vor Freude, als sie das magere Geschöpf an sich drückte.
»Mama.«
Nur ein kleines Wort, aber es bedeutete alles. Alison hatte einen riesigen Kloß im Hals, und ein Glücksgefühl überkam sie, wie sie es noch nie erlebt hatte und wie sie es wahrscheinlich auch nie wieder erleben würde.
»Ich hab mir solche Sorgen gemacht«, murmelte sie und vergrub ihr Gesicht in Chayennes Haaren. »Ich hab dich so lieb …«
Chayenne antwortete nicht, aber ihre dünnen Arme schlangen sich ein bisschen fester um Alisons Hals.
»Danke«, sagte Alison zu dem Mann, der lächelnd einen Daumen nach oben reckte.
»Keine Ursache«, erwiderte er und trabte los.
13
Strandgut
Welcher Gott auch immer an diesem Wochenende für das Wetter zuständig war, ihm konnte nicht entgangen sein, dass am Strand von Everdene Vorbereitungen für eine große Party getroffen wurden. Und er musste die stillen und auch die weniger stillen Gebete der Organisatoren erhört haben, denn es war ein Tag wie aus dem Bilderbuch, und der Wetterbericht sagte auch für die nächsten drei Tage Sonnenschein und blauen Himmel voraus.
Man hatte mit Seilen einen großen Bereich vor den ersten fünf Strandhütten abgesperrt und eine ganze Reihe Partyzelte aufgebaut. Es gab ein Getränkezelt mit einem gewaltigen Bottich Bowle, von Jane Milton nach einem Rezept ihrer Mutter hergestellt, die ebendiese Bowle bei der allerersten Strandparty im Jahr 1964 ausgeschenkt hatte. Es hieß, das Gebräu sei tödlich, aber köstlich. Außerdem gab es mehrere Fässer Bier sowie ganze Plastikwannen voll Eis zum
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