Für immer am Meer - Henry, V: Für immer am Meer
nicht heulen, das hätte ihr gerade noch gefehlt. Sie musste unbedingt die Nerven bewahren.
Jenna stand auf und schob trotzig das Kinn vor. »So betrunken war er nun auch wieder nicht«, fauchte sie, »das kann ich dir versichern! Und ich sag dir noch was: Er hat was Besseres verdient als dich. Er hat was Besseres verdient als eine Eisheilige, die ihr ganzes Leben schon verplant hat. Du hast doch überhaupt keine Gefühle, Kirsty! Sieh dich doch an – selbst jetzt hast du alles unter Kontrolle. Wahrscheinlich hast du gar kein Herz.«
Wenn sie wüsste, dachte Kirsty. Wenn sie wüsste, was es sie kostete, die Contenance zu wahren.
»Ich habe sehr wohl ein Herz«, erwiderte sie ruhig. »Ich bin von den beiden Menschen betrogen worden, die mir am meisten bedeuten. Aber es hilft mir nicht, jetzt Zeter und Mordio zu schreien. Damit kann ich es nicht ungeschehen machen.«
Sie ging zum Tisch und schenkte ein Glas Sekt ein. Ihre Hände zitterten, aber es gelang ihr, sich zu beruhigen, ehe sie Jenna das Glas reichte. »Trink das. Und dann gehst du dich umziehen und machst dich zurecht.«
Jenna sah sie verwundert an. »Du ziehst es trotzdem durch?«
Kirsty nickte. »Du bist doch keine Gefahr. Ich meine, wer ist denn hier die Braut und wer die Brautjungfer?«
Und damit verließ sie das Zimmer.
Jenna krümmte sich auf dem Bett zusammen, die Hände vors Gesicht geschlagen, Tränen rannen ihr zwischen den Fingern hindurch. So elend hatte sie sich noch nie im Leben gefühlt.
Was hatte sie nur getan? Und warum? Was für ein Mensch musste man sein, um am Hochzeitstag der besten Freundin so eine Bombe platzen zu lassen?
Schluchzend rollte sie sich auf dem Bett zusammen und fragte sich, bis wo genau sie die Zeit zurückdrehen würde, wenn sie könnte. Bis zu diesem Morgen? Bis zur Junggesellenparty? Bis zu dem Augenblick, als sie Dan Harper zum ersten Mal begegnet war?
Kirsty Inglis ging erhobenen Hauptes den Korridor hinunter. Sie nahm ihr Handy aus der Tasche, die sich sie im Hinausgehen noch geschnappt hatte, und wählte eine Nummer.
Er meldete sich nach dem ersten Läuten.
»Liam, ich bin’s, Kirsty.«
»Oh, hallo, Kirsty …«
»Ich muss mit dir reden«, fiel sie ihm ins Wort. »Sofort. Wir sehen uns in fünf Minuten am Strand.«
Am Ende des Korridors drückte sie auf den Knopf für den Aufzug. Wie durch ein Wunder öffneten sich die Aufzugtüren augenblicklich, und sie trat ein. Die beiden Leute, die bereits im Fahrstuhl waren, lächelten sie an – eine Braut wird schließlich überall angelächelt –, aber sie ging nicht darauf ein. Sie hatte anderes im Kopf.
Liam stellte seine Kaffeetasse ab. Kirstys Ton hatte ihm gar nicht gefallen. Das hatte nichts Gutes zu bedeuten. Wahrscheinlich war bisher einfach alles zu glatt gelaufen. Er und Dan hatten auf der Terrasse in Ruhe einen Kaffee getrunken und sich dann einen Brandy genehmigt, zwei scheinbar sorglose Freunde. Aber offenbar hatten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Liam hatte das ungute Gefühl, dass irgendetwas verdammt schiefgelaufen war.
»Ich muss los«, sagte er zu Dan. »Hab noch was Wichtiges zu erledigen. Bis gleich.«
Dan nickte. Er wirkte ziemlich entspannt für einen Mann, der drauf und dran war zu heiraten. Aber Dan brachte so schnell nichts aus der Ruhe. Und er sah unverschämt gut aus in seinem anthrazitfarbenen Anzug, dem weißen Hemd über der Hose und seinen typischen Schlangenlederstiefeln, die er mit gerade so viel Ironie trug, dass er nicht daherkam wie ein Pornostar.
Liam durchquerte das Hotel und ging an den grasbewachsenen Dünen entlang, die zum Strand führten. Schon von Weitem sah er Kirsty auf einer niedrigen Mauer sitzen. Leute, die vorbeigingen, warfen ihr neugierige Blicke zu – kein Wunder. Sie sah umwerfend aus, wie sie da im Sonnenlicht und ihrem Brautkleid trohnte. Fast wie eine Fata Morgana. Wenn man die Augen zu und wieder aufmachte, würde sie verschwunden sein.
»Hallo, Kirsty.« Er setzte sich neben sie. »Was ist los?«
Sie hob die Brauen und legte den Kopf schief. »Ach, das weißt du nicht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Du weißt nicht, was mit Dan und Jenna passiert ist?«
Liam presste die Lippen zusammen. Verdammter Mist. Er hätte es sich denken können. Wer hatte da schon wieder geplaudert? Hatte einer der anderen Junggesellen etwa seiner Freundin davon erzählt, die dann beschlossen hatte, Kirsty die Augen zu öffnen?
»Meine erste Brautjungfer hat mich soeben darüber infor miert, dass sie auf
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