Für immer, Dein Dad
Weg zurück ins Haus.
Zwanzig Minuten später kam ich bei K Pics an und sah eine junge Frau ins Schaufenster spähen. Eine zahlende Kundin, wie ich hoffte.
In manchen Wochen ging das Geschäft schleppend, in anderen hatte ich kaum genug Zeit, um alle Aufträge zu erfüllen. Es ging nie einfach nur darum, ein paar Fotos zu machen. Ich musste sie immer nachbearbeiten, und gelegentlich wurde ich auch nach Spezialeffekten gefragt. (Eine Kundinwollte, dass ihre Zähne im Wortsinn funkelten – ich musste auf ihrem Foto winzige Glitzersternchen in die Zähne einarbeiten.)
Weil ich wusste, dass ich dazu neigte, zu viel zu arbeiten, und mir vorgenommen hatte, mehr für mein Privatleben zu tun, verabredete ich mich mit Carla zu einem Kinoabend. Aber sie versetzte mich.
«Es tut mir unheimlich leid, Süße, aber gerade als ich gehen wollte, wurde es Markus schlecht. Offenbar hat er was Falsches gegessen. Aber wir gehen ein anderes Mal ins Kino, versprochen!», erklärte sie, als sie mich drei Stunden nach unserem verabredeten Treffen anrief. «Er wacht gerade auf, Lois, ich muss Schluss machen!»
Wenn Du feststellst, dass Du von jemandem immer wieder ‹Tut mir leid, ich kann nicht› hörst oder DU diejenige bist, die das ständig sagt, solltest Du noch einmal ganz neu über diese Freundschaft nachdenken. Entweder Ihr fangt noch einmal von vorne an – oder Du lässt die Sache auslaufen. Manches muss man von Zeit zu Zeit mit neuen Augen betrachten – analysieren, wenn Dir das besser gefällt. Es kann sein, dass sich ein Mensch, mit dem man sich einmal so gut verstanden hat, dass man sich ein Leben ohne ihn kaum vorstellen konnte, in eine andere Richtung entwickelt. Dann sollte man sich überlegen, ob von Nähe und Freundschaft nicht nur noch Verpflichtung und Gewohnheit übrig geblieben sind.
Es wäre eine Lüge, zu behaupten, dass ich mir ein Leben ohne Carla noch nicht vorgestellt hatte. Sie hatte diesen Egoismus, der sich jedes Mal, wenn sie einen neuen Freund hatte, weiterzuentwickeln schien. Sie hatte andere Wünsche als ich, wir waren im Grunde komplett verschieden. Aberirgendwie hatte ich mich an ihre Art gewöhnt, und allein, dass wir uns so lange und so gut kannten, fand ich tröstlich und beruhigend. Abgesehen davon hatte ich nicht gerade Millionen von Freundinnen, die sich um meine Gesellschaft rissen.
Wie zu erwarten, fragte mich Carla bei unserem nächsten Treffen, ob ich an ihrer Hochzeit fotografieren würde.
Ich sagte zu, denn schließlich war sie meine beste Freundin.
Neunundzwanzig, zwei neun, Zwanzig plus neun. Ganz gleich, wie ich die Zahl aussprach, sie schockierte mich. Ja, ich war jetzt neunundzwanzig Jahre alt und konnte nichts daran ändern. Allerdings konnte ich mich mit der Tatsache trösten, dass es mich nicht ganz so schlimm erwischt hatte wie Carla, die ein paar Monate älter war als ich. Sie hatte sich noch eine Woche nach ihrem Geburtstag geweigert, ans Telefon zu gehen, lernte sämtliche Testberichte über Antifaltencremes auswendig und behauptete, das Leben sei jetzt ‹vorbei›.
Dein letztes Jahr als Twen. Verschwende es nicht, Liebling. Mach mal eine Dummheit. Keine zu große natürlich, aber irgendetwas, das Du schon immer tun wolltest, aber nicht getan hast, weil es Dir peinlich oder unnötig vorkam! Du bist noch so jung! Ich weiß, dass Du mir das nicht glaubst. Trotzdem, Du hast jetzt noch zwölf ganze Monate, um einfach etwas zu tun, das Dir in den Sinn kommt!
Soll ich Dir sagen, was ich getan habe?
Ich werde Dir natürlich nur die entschärfte Version liefern. Andererseits .. Du bist jetzt neunundzwanzig, also kommst Du vermutlich damit klar.
Es war so.
Charlie kümmerte es 1982 kein bisschen, dass ihm demnächst die große DREINULL bevorstand, wie er es nannte. Aber ich fürchtete, mit dreißig schon ein halber Opa zu werden: Hauspantoffeln, Pfeife, Briefmarkensammlung. Also beschlossen wir eines Tages nach Feierabend, in eine Disco in Wandsworth zu gehen. Du musst Dir vorstellen, Charlie war verheiratet und hatte zwei Kinder, und ich hatte Deine Mum und Dich. Wir waren seit Jahren in keiner Disco gewesen, und mittlerweile hatte sich eine Menge verändert – die Musik, die Mode. Ich meine, zu meiner Zeit waren Schlaghosen der letzte Schrei, oben knalleng und am Knöchel richtig weit, aber jetzt trugen die Männer Röhrenhosen und lange Hemden mit … Rüschen am Ausschnitt und den Handgelenken! Mir wird bei der Erinnerung noch ganz schlecht.
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