Für immer, Dein Dad
Egal, jedenfalls kamen wir uns ziemlich alt vor, als wir an diesem Abend in der Disco einliefen. Wir hoben den Altersdurchschnitt beträchtlich und ernteten halb mitleidige, halb erstaunte Blicke. Vermutlich fragten sich die restlichen Gäste, wieso wir nicht zu Hause mit unserem Bier vor dem Fernseher saßen. Es war wohl nicht der richtige Laden für uns (ich gehöre eben mehr zur Barry-White-Fraktion, mit Visage kann ich nichts anfangen), aber wir kannten uns in der Szene nicht mehr aus. Was für uns gepasst hätte – eine Disco für nicht zu junges, aber auch nicht zu altes Publikum –, gab es vermutlich überhaupt nicht. Noch dazu hatte mir ein Kollege erzählt, der das biblische Alter von achtunddreißig erreicht hatte, wie «oberpeinlich» es seine Tochter fand, ihm in der Disco zu begegnen. Jedenfalls war es so, dass eine junge Dame Charlie ständig Blicke zuwarf. Er wurde total aufgeregt und beschloss – er war ein ziemliches Alpha-Tier –, seine Flirtkünste unter Beweis zu stellen. Er wollte einfach wissen,was noch «ging». Ich stellte mich mit meinem Bier an die Bar und hörte zu.
Charlie: ‹Du hast mir ein paar ziemlich heiße Blicke zugeworfen, Baby.›
Sie: ‹Wirklich? Ich dachte, du hättest damit angefangen!›
Charlie: ‹Hast du Lust, was zu trinken?›
Sie: ‹Klar.›
Charlie: ‹Kommst du oft hierher?›
Sie: ‹Ja, mit Freunden.›
Charlie: ‹Ist ja super.›
Sie: ‹Und du bist also Monicas Vater?›
Charlie: ‹Wer ist Monica?›
Sie: ‹Eine Freundin von meiner Schwester. Es wäre toll, wenn du uns später alle nach Hause bringen könntest. Du hast doch ein Auto, oder?› Sie deutete auf eine Gruppe Rüschenhemdenträger.
Du kannst Dir denken, dass wir danach ziemlich schnell die Biege machten. Charlie schwor, sich künftig lieber an die Erinnerung an seine früheren Eroberungen zu halten, schwärmte mir plötzlich von seiner großartigen Frau vor und behauptete, sich ohnehin für keine andere zu interessieren.
Und weißt Du was? Ich wünschte, wir wären geblieben. Ich wünschte, wir hätten uns ein paar Rüschenhemden besorgt, die Nacht zu dieser neuen, romantischen Musik durchgetanzt und wären erst in der Morgendämmerung nach Hause gekommen, zu Vogelgezwitscher und in einer erwachenden Stadt. Wirklich, Lois, ich wünschte, das hätten wir getan.
Also glaub mir, dass etwas mit Dir passiert, wenn Du einmal etwas Spontanes tust. Was, kann ich Dir nicht sagen, denn es ist für jeden etwas anderes.
Ich rate Dir nur: Mach einfach mal eine ‹Dummheit›.
* Du bist mein Stern. Dad.
Schließlich gelang es mir, Carla von Markus loszueisen, und wir trafen uns an der Bushaltestelle Richtung West End.
«Also, du hast mich aus dem Haus gezerrt, und bestimmt weint sich mein Verlobter jetzt schon die Augen nach mir aus. Was hast du eigentlich vor?»
«Ich will Dummheiten machen!», rief ich mitten auf dem Trafalgar Square, als wäre ich nicht ganz klar im Kopf. Es war ein bisschen gruselig, dass sich kein Mensch deshalb nach mir umdrehte. «Ich will all die hirnverbrannten Sachen machen, die ich nicht gemacht habe, als ich noch jünger war!»
Carla rollte mit den Augen. «Wie zum Beispiel, dir einen Kerl fürs Bett zu suchen, oder was?»
«Nein! Keine Ahnung, aber ich erinnere mich zum Beispiel nicht einmal daran, wann ich das letzte Mal betrunken war.»
«Weil du es noch nie warst. Sogar als wir in Spanien waren, hast du höchstens zwei Cocktails am Abend getrunken.»
«Na also. Dann betrinken wir uns! Ich habe Geburtstag, und mir bleiben nur noch zwölf Monate, dann bin ich dreißig. Komm schon!»
Während ich das sagte, wurde mir klar, dass ich noch ein ganzes Jahr zur Verfügung hatte, um ‹Dummheiten› zu machen. Trotzdem fand ich, dass ich am besten sofort damit anfangen sollte. Abgesehen davon wollte ich in nächster Zukunft meinen Laden ausbauen, und dann konnte ich mir so etwas bestimmt nicht mehr leisten.
«Wie originell. Ich war schon tausend Mal betrunken!»
«Sollen wir lieber in eine Strip-Bar gehen?»
«Wie?» Carla blieb wie festgefroren stehen. «Hab ich da eben richtig gehört?»
«Hast du!»
«Wahnsinn! Los, gehen wir, bevor du es dir wieder anders überlegst.» Aufgeregt nahm sie mich an der Hand. Im Internet hatte ich gelesen, dass im ‹Tinkerbelle› jeden letzten Donnerstag im Monat Ladys’ Night war.
«Ich glaub’s nicht, dass wir da wirklich reingehen!», kicherte ich, während Carla dem Macho-Türsteher klarmachte, dass sie
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