Für immer die Seele (Für-immer-Trilogie) (German Edition)
zwei tolle Typen getroffen habt. Ich fass es nicht. Jetzt bist du schon seit zwei Tagen wieder da und hast ihn noch mit keiner Silbe erwähnt.«
Als Griffon das von den Hinrichtungen erzählte, ist mir gleich wieder flau geworden. Ich habe mich zusammengerissen und gewartet, bis Kat wieder auftauchte, dann was von Jetlag gefaselt und bin praktisch aus dem Tower gerannt. Er hat mich nicht nach meiner Nummer gefragt und ich wollte sie ihm bestimmt nicht aufdrängen. Jetzt sind wir zurück zu Hause und gehen in die Schule, so als wäre alles wie vorher. Aber das ist es nicht.
»Komm schon«, drängelt Rayne, schaut aber nach vorne, damit man uns nicht beim Schwatzen erwischt. »Ich kann nicht glauben, dass du mir so etwas Wichtiges verschwiegen hast. Los, erzähl.«
»Da gibt es nichts zu erzählen. Ich hab einen Jungen getroffen. Er war süß. Er hat meine Nummer nicht, also werde ich ihn niemals wiedersehen. Ende der Geschichte.«
»Da hat Kat aber was ganz anderes erzählt. Sie sagte, dass du ohnmächtig geworden bist, mitten in irgendeinem Tower oder so, und dass dieser Typ dich praktisch gerettet hat.«
Wenn ich nur daran denke, krampft sich mein Magen zusammen. Manchmal, wenn ich gerade irgendetwas völlig Belangloses tue, schießt mir plötzlich ein Detail der Vision in den Kopf, und sofort sind all die damit verbundenen Gefühle wieder da. Wenigstens ist mir so was nicht mehr passiert, seit wir zurück sind. Ich hoffe, es war das Schlimmste und das Letzte, was ich in dieser Richtung erlebt habe, und dass die Visionen in England geblieben sind, wo sie hingehören. »Wir haben Tee getrunken«, sage ich, »das kann man wohl kaum retten nennen.« Ms. Lipke wirft uns einen strengen Blick zu, der mir für den Augenblick weitere Erklärungen erspart.
Es ist einfach lächerlich, wie oft ich an Griffon denke. Ich meine, wir haben kaum mehr als eine Stunde miteinander verbracht. Das war an unserem vorletzten Tag in London, und ich war wirklich kurz davor, am nächsten Tag noch einmal zum Tower zurückzukehren – selbst auf die Gefahr hin, dass dort Visionen von Enthauptungen lauern – aber stattdessen fuhren wir nur noch einmal mit dem Taxi daran vorbei, und ich stellte mir vor, Griffon säße an einem Tisch im Café mit irgendeinem anderen armen Touristenmädchen, das seine Hilfe benötigt.
»Hast du nach der Schule schon was vor?«, fragt Rayne, als der Literaturunterricht endlich vorüber ist. »Ich glaube, ein paar von den anderen treffen sich im Café Roma.«
»Ich kann nicht«, antworte ich und lehne mein Cello gegen die Spinde draußen auf dem Flur. Ich krame in meinem Rucksack nach meinem Handy, auch, um sie nicht ansehen zu müssen.
»Schon wieder Cello? Wann machst du endlich mal eine Pause und fängst an zu leben?«
Ich seufze. Ich mag Rayne wirklich, aber sie versteht es einfach nicht. »Das ist Leben. Mein Leben. Bald ist das Konzert und wegen der Reise bin ich sowieso schon total hintendran.«
Wie oft habe ich versucht, ihr zu erklären, dass man sich nicht aussucht, Musikerin zu werden, sondern dass man einfach dazu bestimmt ist. Dieser Moment, in dem ich in einem Stück aufgehe, wenn alles zusammenpasst, dieser Glücksrausch, das Gefühl, außerhalb meiner selbst zu stehen, all das kann ich unmöglich erklären, ohne vollkommen verrückt zu klingen. Es treibt mich an, es fehlt mir, wenn ich nicht jeden Tag spiele. Ich gebe gerne meinen Eltern die Schuld, damit ich nicht wie ein totaler Musikfreak klinge, aber die Wahrheit ist, dass ich es nicht nur mag , sondern brauche . Ich glaube nicht, dass Leute, die für die Olympischen Spiele trainieren und Stunde um Stunde auf dem Eis oder in der Turnhalle verbringen, sich so oft rechtfertigen müssen wie ich.
»Komm bloß nicht und heul dich bei mir aus, wenn du mit fünfzig immer noch Single bist, Arthritis in den Fingern hast und mit einem Rudel Katzen zusammenwohnst.« Sie grinst mich an. »Hast du Probe oder gibst du Unterricht?«
»Beides«, antworte ich, erleichtert, dass das Thema vorerst beendet ist. »Ich habe die ganze Woche jeden Tag eine Nachholstunde bei Steinberg und heute um fünf gebe ich Unterricht.«
»Und wem?«
»Dem aus der fünften Klasse von der Yeshiva Day. Er hasst Cello, aber seine Eltern meinen, es sei wichtig für seine ›Vervollkommnung‹.« Wenn Schüler zum Spielen gezwungen werden, sind sie am schwersten zu unterrichten. Mit Erwachsenen, die wirklich lernen wollen, ihr Instrument zu spielen, ist es am
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