Fuer immer du
»Ja?«, fragte ich genervt.
»Hast du noch geschlafen? Deine Haare stehen in alle Richtungen ab.« Meine Mutter grinste in die Kamera der Anlage.
»Nein«, sagte ich.
»Das Frühstück ist fertig.«
»Keinen Hunger.«
»Wir wollten doch zu Ikea«, kam es knackend aus der Anlage.
Stimmt, überlegte ich. Es hieß dreihundert Euro auf den Kopf zu schlagen, die mir meine Oma zum Einzug geschenkt hatte. Zumindest hatte dieser Umzug einen kleinen Vorteil. Seine Großeltern in der Nähe zu haben, war für jeden Teenager eine Bereicherung. »Ich bin gleich unten«, rief ich jetzt schon freudiger in die Sprechanlage. Geldausgeben war einer der wenigen Lichtblicke in meinem neuen Leben.
Geldausgeben und meine beiden verrückten Freundinnen Jennifer und Melan ie. Auch genannt Jenny und Mel. Die einzigen Freundinnen, die ich hier noch hatte. Ein Überbleibsel aus der Zeit, bevor wir Linden verlassen hatten und in das wundervolle, belebte Wiesbaden gezogen waren. Das war jetzt vier Jahre her. Vier Jahre, die ich in einer Stadt gelebt hatte, die eine andere Welt zu sein schien. Vier Jahre in denen ich ein anderes, lebhafteres Leben kennengelernt hatte. Und jetzt wurde ich in das alte, mittlerweile ungeliebte, Leben zurückgedrängt. Wie sollte ich mich nur je wieder daran gewöhnen, in einem Dorf zu leben?
Vor einiger Zeit hatten Mel, Jenny und ich uns auf Facebook wiedergefunden. Als Kinder waren wir die besten Freundinnen gewesen. Es hatte mich gefreut, sie auf diesem Wege wiederzutreffen, aber es fühlte sich auch komisch an. Wir waren älter geworden, hatten lange keinen Kontakt mehr, nur in den wenigen Ferien, die wir in Linden verbracht hatten. Hatten uns verändert. Wir waren unserer Sandkastenfreundschaft lange entwachsen. Unsere ersten Nachrichten waren daher sehr zaghaft gewesen. Erst langsam kamen wir uns wieder näher. Jetzt, wo ich zurück in Linden war, fühlte es sich ein wenig an, als könnte sich ein lange aufgebogener Ring wieder schließen. Zumindest freute ich mich auf sie, vielleicht auch, weil da nur noch wenig anderes geblieben war, was mich erfreuen konnte. Ich fühlte mich schon seit Tagen in diesem Haus eingezwängt. Irgendwie war mir die Gegenwart meiner Mutter ständig bewusst. Es fühlte sich an, wie nicht richtig durchatmen zu können, was vielleicht auch daran liegen mochte, dass Mutters schlechtes Gewissen sie kaum von meiner Seite weichen ließ. Ich brauchte mal ein paar andere Menschen um mich herum. Keine Erwachsenen, sondern Teenager, die mich verstehen würden.
Heute Nacht planten wir eine Einweihungsparty in meiner schnuckeligen kleinen Wohnung. Ich war ziemlich aufgeregt. Ständig kreisten mir Fragen durch den Kopf: Haben sie sich sehr verän dert? Sind sie noch so verrückt wie früher? Sehen sie aus wie auf den Fotos, die sie mir geschickt hatten? Werde ich sie auseinanderhalten können?
Mel und Jenny sind Zwillinge und früher war es kein Problem für mich, sie zu unterscheiden. Ich war sogar eine der Wenigen, die das konnte. Aber würde ich das nach all der Zeit noch können?
Ich drehte die Dusche aus und nahm mir eins der Handtücher aus Omas Fundus von der Waschmaschine, die ebenfalls aus Omas Besitz stammte. Während ich meine Haare trocken rubbelte, machte ich mir in Gedanken eine Liste mit Dingen, die ich noch benötigte. Ganz oben stand ein Spiegel. Denn wenn ich nur einigermaßen annehmbar aussehen wollte, musste ich jetzt mit Föhn und Kamm bewaffnet hinunter in die Wohnung meiner Eltern.
Etwas, was ich zu vermeiden versuchte, außer es ging um Frühstück und Mittag und Abendbrot. Ansonsten hielt ich den Kontakt zu meinen Eltern so knapp wie möglich, um sie dafür zu bestrafen, dass sie mich hier her geschleppt hatten.
Ich stieg in meine Fetzenjeans, suchte ein Tank Top aus meinem Schrank, das meinen Rücken komplett verdeckte, und stapfte eine Etage tiefer.
Meine Mutter begrüßte mich mit einem fröhlichen , aber aufgesetzten, »Guten Morgen«. Ich murrte etwas Unverständliches zurück und stürzte in das Badezimmer meiner Eltern.
Der Blick in den Spiegel ließ mich aufstöhnen. Meine tiefschwarz gefärbten Haare standen um mein Gesicht herum wie das Stroh auf dem Kopf einer Vogelscheuche. Mein Aussehen war mir schon immer wichtig; täglich saubere Kleidung - perfekt gebügelt -, frisch gewaschene Haare, gepflegte Nägel. Meine Oma hatte immer gesagt: »Am Auftreten eines Menschen, erkennt man seinen Sinn für Ordnung.« Mein Sinn für Ordnung war sehr
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