Für immer, Emily (German Edition)
sehr schwerwiegender sein musste. Warum war sie so verschlossen, scheu und manchmal regelrecht verängstigt? Warum zuckte sie jedes Mal zusammen, wenn jemand sie zufällig berührte?
Er strich sich mit beiden Händen durch die Haare und rollte sich auf den Bauch. Es war warm im Zimmer und ein heftiger Wind rüttelte an den Fensterläden. Ob Emily jetzt schlief? Oder fürchtete sie sich, so alleine in dem Haus? Er drückte das Gesicht in die Kissen. „Ja, und wenn sie sich fürchtet, was geht es dich an? Schlaf endlich und hör auf mit diesem Quatsch“, murmelte er.
„ Niclas, oh Niclas, es ist einfach wunderschön hier. Weißt du, dass ich noch niemals einen schöneren Ort gesehen habe als diesen hier? Schau, wie die Sonne auf dem Wasser glitzert. Wie Millionen winzig kleiner Diamantsplitter. Danke, dass du es mir zeigst. Vielen Dank.“
Emily drehte sich zu ihm um und lächelte ihm zu.
„ Schön, wenn es dir gefällt. Das freut mich, wirklich“, sagte er und bohrte etwas verlegen mit den Fäusten in den Taschen seiner Jeans herum. Sie lachte und lief auf ihn zu, während der Wind mit ihren Haaren spielte und sie ihr ins Gesicht wehte. Er breitete die Arme aus und sie ließ sich einfach hineinfallen. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, zog seinen Kopf zu sich herunter. Er fühlte ihre warmen, weichen Lippen auf seinen. „Weißt du, dass du unglaublich süß aussiehst, wenn du verlegen bist?“
„ Süß?“
Sie lächelte nickte. „Ja, süß.“ Er umfasste sanft ihre schmale Taille und fühlte ihre Arme um seinen Nacken, während sie beide sich in einem unendlich zärtlichen Kuss verloren.
„ Komm, setzen wir uns ein wenig da vorne hin, okay?“, sagte er schließlich.
Emily nickte, und sie setzten sich auf einen der flachen Steine, die hier überall verstreut lagen. Sie schob ihre Hand in seine und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Ihre Locken kitzelten ihn etwas an der Wange, aber er hielt still. Immer wenn sie ihm so nahe war, fühlte er sich unendlich glücklich und leicht. Sie vertrieb den Schmerz, der sich seit Jahren in ihm eingenistet hatte, und er konnte nicht in Worte fassen, wie gut das tat. Er fühlte sich geborgen und sicher mit Emily an seiner Seite. Ein Gefühl, das er lange nicht mehr empfunden hatte.
Er senkte den Kopf und küsste sie auf die blonden Locken, die im schwächer werdenden Sonnenlicht schimmerten. „Wenn du frierst und gehen willst, sag es mir, okay?“ Er wartete kurz. „Emily? Hörst du mich?“
„Emily? Emily ...“ Niclas öffnete die Augen und setzte sich mit einem Ruck auf. Im ersten Moment wusste er gar nicht, wo er war, aber dann wurde ihm schlagartig bewusst, dass das alles nur ein Traum gewesen war. Er saß nicht an seinem Lieblingsplatz und Emily hielt nicht seine Hand. Sie hatte ihn nicht geküsst und würde das vermutlich auch niemals tun. Und er wollte ja auch gar nicht, dass sie es tat. Sie liebte ihn nicht und sie gehörte nicht zu seinem Leben. So einfach war das. Es war nur ein Traum gewesen, ein dummer, verwirrender Traum. Sonst nichts. Er ließ sich wieder in die Kissen zurückfallen und zog die Decke über den Kopf. „Verdammt, es war nur ein Traum. So was kommt schon mal vor, stell dich jetzt bloß nicht an.“ Und doch tat es weh. So viel mehr weh, als es sollte. Er fühlte wieder Emilys weiche Arme um seinen Nacken, ihre warmen Lippen auf seinen, und ein schmerzvolles Ziehen breitete sich in seiner Brust aus. „Mist, das darf doch nicht wahr sein.“ Er schlug die Decke zurück und sprang wütend aus dem Bett. Es war ohnehin fast Zeit zum Aufstehen, und er brauchte offensichtlich dringend eine kalte Dusche, um wieder zu Verstand zu kommen.
Niclas ließ das kalte Wasser so lange über Gesicht und Körper laufen, bis seine Haut ganz rot war und er fast mit den Zähnen klapperte. Schließlich beendete er seine morgendliche Tortur, trat aus der Dusche, trocknete sich ab und zog sich an. Dann trottete er missgelaunt in die Küche, wo sein Vater schon am Frühstückstisch saß.
„Morgen.“
Niclas‘ Gruß war knapp, er öffnete den Schrank und holte eine Packung Cornflakes heraus.
„Guten Morgen, Nic. Es tut mir leid, dass es gestern so spät geworden ist und wir uns nicht mehr gesehen haben.“
Niclas nickte. „Schon gut. Ist noch Kaffee da?“
„Dort, in der Kanne.“ Peter Delaney musterte seinen Sohn, der offensichtlich nicht gerade blendender Laune war. „Alles okay bei dir?“
Niclas zuckte mit den Schultern.
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