Für immer, Emily (German Edition)
wohnte sie seit knapp drei Wochen hier in der Kleinstadt in der Nähe von Boston.
Aber wie es im Moment aussah, war dieser Schritt völlig umsonst gewesen, denn die Ängste vergingen nicht. Sie hatte das Alleinsein unterschätzt, und ihre Nächte waren voller Albträume und Schrecken. Aber sie würde nicht aufgeben, noch nicht.
Emily starrte immer noch in den trüben Morgen hinaus und wandte sich dann langsam zu Ben um. „Nun, hier sind wir, mein Junge. Ich bin so froh, dass du bei mir bist.“ Sie kniete sich neben den Hund und schmiegte ihr Gesicht in sein weiches Fell. „Ich weiß, dass du Mom, Dad und Connor vermisst. Ich vermisse sie auch. Aber im Moment kann ich dort nicht sein, verstehst du? Ich bin glücklich, dass du mit mir hierher gekommen bist. Ich weiß, du hattest keine Wahl, und irgendwie war das wohl ziemlich gemein von mir, dich einfach mitzuschleppen. Aber ich hab dich so lieb und ich brauch dich. Verzeih.“ Sie zog die Nase hoch und wischte sich energisch über die Augen. Dann stand sie auf. „So, ich ziehe meine Joggingsachen an, dann gehen wir Gassi. Danach muss ich duschen, und du wirst den Tag bei Tante Dorothy verbringen. Es wird sicher schön und lustig. Komm schon, das wird super.“
Während Emily ihre Jogginghose anzog, überlegte sie, wem sie da gerade Mut zuzusprechen versuchte, Ben oder sich selbst. Heute war ihr erster Tag an der neuen High School. Es war ihr letztes Jahr, bevor sie ans College wechseln würde, und es war natürlich ein Wagnis, hier noch einmal mit neuen Lehrern, neuen Lernmethoden und, vor allem, neuen Kameraden, dieses Jahr zu verbringen. Sie würde sich erst eingewöhnen und dennoch versuchen müssen, gute Noten zu schreiben.
Sie band ihre Laufschuhe zu und lief die schmale, ausgetretene Holztreppe nach unten. Ben folgte ihr auf dem Fuß und schaute erwartungsvoll in Richtung Leine, die neben der Haustür hing. Die Noten waren nicht ihr Problem, sie war eine gute Schülerin und das Lernen fiel ihr nicht schwer. Das Problem waren die Mitschüler, besonders die männlichen. Sie hoffte inständig, dass sie mit ihnen klarkommen würde. Es musste einfach gelingen ... es musste gelingen.
Bald darauf lief Emily mit Ben durch den Park, hinunter zu dem kleinen Fluss, der die Stadt durchquerte. Eigentlich war es mehr ein etwas breiterer Bach, aber die Stadtbewohner nannten ihn stolz ihren Fluss.
Die Vögel zwitscherten in den Bäumen und die Luft roch frisch und klar. Obwohl der Tag trüb war, war es relativ mild, später würde es sicher warm werden. Es waren schon einige Jogger unterwegs, auch etliche Leute mit Hunden. Sie traf Mrs. Johnson, die in ihrer Straße wohnte, mit ihrem alten Dackel Muffin. Sie sprachen einige Worte über das Wetter, und Mrs. Johnson winkte ihr hinterher, als sie mit Ben weiterlief.
Am Wasser blieben sie stehen und Emily warf Stöckchen für Ben. Er stürzte sich mit Begeisterung in die flachen Fluten und schüttelte sich immer wieder direkt neben ihr.
Sie lachte und meinte, er wäre ein echtes Ferkel, was ihn allerdings wenig beeindruckte.
Schließlich liefen sie gemächlich wieder zurück, und Emily fühlte, wie die Aufregung in ihr immer stärker wurde. Ihr Herz klopfte schnell in ihrer Brust, und das kam nicht vom Laufen.
Zuhause trocknete sie Ben sorgfältig ab, bereitete sein Futter und stellte frisches Wasser für ihn bereit.
„Hier, mein Großer, lass es dir schmecken. Ich gehe duschen.“
Sie zog die Joggingsachen aus und stopfte sie noch schnell in die Waschmaschine, bevor sie in die Dusche trat. Das heiße Wasser tat gut, und sie versuchte, sich ein wenig zu entspannen. Es würde schon alles gut gehen. Mara war ja in manchen Kursen dabei und konnte ihr sicher einige Tipps geben und ihr helfen, sich zurechtzufinden. Leider besuchten sie nicht alle Kurse gemeinsam, und vor denen, wo sie alleine mit den fremden Mitschülern sein würde, graute es ihr nun schon ein wenig.
Nach dem Duschen stand Emily eine Weile vor dem Schrank und überlegte, was sie anziehen sollte. Schließlich entschied sie sich für eine helle Jeans und ein dunkelblaues Shirt. Darüber konnte sie noch die graue Weste ziehen, dann war es in Ordnung. Sie bürstete ihre Haare und betrachtete sich prüfend im Spiegel. Ihre Haut war blass und sie hatte dunkle Schatten unter den Augen. Die hatte sie oft in letzter Zeit, da sie schlecht schlief und meistens einige Stunden wach lag. Außerdem zehrten die ständige Angst und dieser Schmerz an ihr, der sich in
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