Für immer in Honig
Dominikanische Republik hatten aufgehört zu existieren, die neue Gelehrtenrepublik hatte noch nicht Tritt gefaßt, aber die Besonderheiten des internationalen Durcheinanders im Windschatten des Totentanzes bedingten, daß diese Insel der erste Ort in der Geschichte der Menschheit war, der liberale Intellektuelle hatte, bevor die Herrschaftsverhältnisse das Stadium der Roheit verließen.
Vor dem Gebäude, in dem das neue Gedächtnisprojekt verkündet wurde, stand amerikanisches Militär und hielt die Straße frei von den wenigen Haitianern, die hier noch rumliefen. Fern, aus den Wäldern, hörte man die Trommeln Stücke mit illiberalen, undemokratischen, archaischen und unkommunikativen Titeln wie »Yanvalou« und »Afranchi« spielen.
Das Geschwätz beim Abendessen im gut geschützten Gebäude aber brauste zu brüderlich, als daß die dort Versammelten diese Trommeln vernommen hätten.
4 »Vielleicht sollte ich auch was dafür machen.«
Dieter Fuchs war sich überhaupt nicht sicher. Er saß auf dem Geländer der Veranda des von drei Parteien bewohnten neuen Hauses auf der im Wiederaufbau befindlichen Nordseite von Port-au-Prince, umblüht von Orchideen aller Farben, aller Düfte, aller Sorten, von Oncidium henekenii bis Leonchilus labiatus, ein abendlicher, schon leicht verlebter Blütenrausch.
Dieter trank einen Eistee, während Stefanie, träge und melancholisch wie stets, ein Bein aus der Hängematte hängen ließ. Ihr Turnschuhfuß schleifte auf dem Dielenboden lang, sie murmelte: »Vielleicht solltest du das.«
Als er darauf nichts weiter sagte, wurde sie etwas lebhafter und fragte nach: »Wofür denn machen?«
»Für das Gedächtnisprojekt. Sie halten jetzt einmal im Monat in jeder größeren Stadt Versammlungen ab deswegen, tragen Sachen zusammen … Ich könnte mir vorstellen, aus meiner Erfahrung und mit mei nen Kenntnissen … Vielleicht sollte ich was anderes machen als Bana nen essen, schwimmen gehen, Dauerlauf am Strand, Vögel beobachten …«
»Und meine Hand halten, denn ich bin dem CFS verfallen«, summte Stefanie schwach, aber es tat ihr gleich leid, als eine halbe Zornes- und eine halbe Sorgenfalte auf seiner Stirn erschienen: So flapsig hatte sie damit nie wieder umgehen wollen, daß die Ärzte damals in Berlin, als die Hölle schon los war, die Gräber schon ihren Inhalt auf die Straßen zu erbrechen begonnen hatten, die ernsteste Folge ihrer seltsamen Vergiftung in Skribas Keller diagnostiziert hatten: Chronic Fatigue Syndrome, anhaltende, mit keinem bekannten Pharmakon zu therapierende Trägheit, »chronische Lebensuntauglichkeit«, wie sie sich kurz vor der Übersiedlung auf die Insel noch selbst bescheinigt hatte.
Immerhin war sie mitgekommen, als Dieter ihr das Angebot eines gemeinsamen Freundes aus der überregionalen Kulturbürokratie des zusammenbrechenden Deutschlands unterbreitete, sie beide auf eine der Listen zu setzen. »He, ich mein’s ernst. Wenn du wieder was schreiben willst, tu es. Wenn du dich beschäftigen kannst, ist doch gut, und wenn …«
Er ließ sie nicht ausreden: »Na ja, ich dachte, als er das Ding vorgestellt hat, gleich daran, daß dieser Ort hier ja eigentlich … auf eine gewisse Art ein Nabel der ganzen Geschichte ist.«
»Nabel. Wie meinst du das, Nabel?«
»Zombies … das kommt doch ursprünglich hier her. Und auch diese Art Krieg … um Medizin, um Gifte und Wirkstoffe … das, was wir jetzt weltweit mit dem Solanum erleben … Soweit ich weiß, haben die Sklaven während ihrer Aufstände hier, sowohl im spanischen wie im französischen Bereich der Insel, gern Gifte benutzt, also nicht so, wie man sich Guerillas immer vorstellt, mit Machete und Axt und Blasrohr, Ge wehr und Würgeschlinge, sondern chemisch, biologisch … wie der Krieg auf den Kontinenten jetzt. Da müßte man mal was … genealogisch gesehen …«
»Verstehe. Aber ich dachte, das Projekt sollte erst mal nur schildern, was kurz vor dem Totentanz hier los war?«
Dieter faßte sich in den ausgefransten Kinnbart, zwirbelte ein paar Härchen und sah hinaus auf den blutigen Bacardi-Sonnenuntergang: »Ich weiß nicht, ob man das so kurzatmig denken sollte. Vielleicht ist mehr Archäologie nötig, um zu verstehen, was hier los war. Vielleicht ist das aber auch eine Sackgasse. Wer weiß.«
»Na du, wenn du dich anmeldest und dir von unseren Beschützern, Army und so weiter, bei der Forschung helfen läßt – du wirst es bald wissen, oder?«
Stefanie Mehring teilte nicht viel
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