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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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Ahnung. Sie redeten nicht gern darüber.
    »Mir gefällt es besser, wenn die Kinder singen«, sagte Jürgen, und Jacques pflichtete ihm bei: »Das wird besser gewesen sein, oui.«
    Die Kinder brachten Wasser in Eimern, die sie auf den Köpfen balancierten, auf dutzende Kilometer langen Pfaden aus den Bergen in die Täler und wieder zurück.
    Ein Ort kann schön sein, ohne daß die Menschen glücklich sind, die ihn bewohnen. Hier auf der Insel war immer alles regengrün, auch wenn es längere Zeit nicht geregnet hatte, und im Herzen dieses grünen Kosmos gab es andere Farben: ein unglaubliches Pink, oder ein strahlendes Blau, sehr viele, sprühende Federfarben von Vögeln. Der kleine Piepmatz Manuelito setzte sich aufs Geländer und pickte, was die Mädchen ihm dort hingestreut hatten. Neidisch schrie der Papagei, der Jacques gehörte, aus seinem Vogelbauer nach »Raison, Raison!« Im Boden unter den Palmen und Stauden wühlten kleine Viecher mit Pelzen. Die Neusiedler dachten sich wenig dabei, wenn sie nach ihnen traten, beim Abholzen von Mahagoni oder beim Bananenpflücken. Man täfelte mit dem Mahagoni bald neue Räume. Man aß die Bananen auf den Treppenstufen der neuen Gebäude.
    Das Täfeln und Essen und Gebäudebauen war begleitet von einem Diskurs , wie die Neusiedler das nannten.
    Die weißen Tauben, Palomas Coronitas, wunderten sich auf den neuen Dächern drüber.
    Es war oft ganz heiß auf der Insel.
    »Hier ist eine Tragödie geschehen, aber jetzt muß das unvollendete Projekt, dem sie entsprang, dennoch fortgesetzt werden«, sagte Jürgen auf dem Sessel neben dem Vogelbauer zu Jacques. Jacques sog an der Pfeife und erwiderte zustimmend: »Gewiß, es wird nötig gewesen sein, daß wir es fortgesetzt haben werden.«
    Weil die Neusiedler in vielen Fällen Leute waren wie Jürgen und Jacques, wurde fast alles auf der Insel sehr schnell immer postmoderner postmortaler dezentrierter subjektloser nachmenschlicher kommaloser punktloser unlesbarer obwohl der Komparativ von unlesbar ja eigentlich nicht geht müßte sowieso daß man die Scheiße gelesen will hatten geht in Ordnung von wegen du lieber Gott o mei o mei Alfred Leobold to the rescue.
    Aber die Insel war schön, blieb schön.
    Die Neusiedler hatten kaum gesellschaftlichen Umgang mit denen, die vor ihnen dagewesen waren.
    Das lag an zwei Dingen: Erstens waren die Neusiedler was Besseres (nur besser als was, das wußte keiner), zweitens gab es kaum noch welche von denen, die vor den Neusiedlern dagewesen waren.
    2  »Wie schützen wir uns vor diesen Krankheiten?« hatte Dieter Fuchs bei einem der ersten Briefings in der Hauptstadt gefragt, die zu jener Zeit noch wöchentlich vom lokalen Vertreter des DAAD und einem alten Diplomaten, der in nicht ganz durchschaubarer Funktion für den ehemaligen deutschen Botschafter gearbeitet hatte, abgehalten wurden.
    »Vor diesem … Rotfeuer, und der Lungensache, und den ganzen anderen Epidemien?«
    »Das ist einfach«, hatte der DAAD -Mann achselzuckend erwidert, »vermeiden Sie jeden Verkehr mit Einheimischen.« Eine dicke Wiener Malerin, mit bronzenen Klunkern behangen wie ein Medizinmann mit Knochen, hatte diese Auskunft in den falschen Hals gekriegt: »Sie meinen, sexuelle Kontakte?«
    Der DAAD -Mann war abgebrühter als Dieter, den es bei diesem Einwurf schüttelte, und gab sachlich zurück: »Ich meine gesellschaftlichen Umgang in jeder Form. Wenn Ihr Gegenüber schwarz ist, französisch spricht, kurz: zu jenem kleinen Bevölkerungssegment gehört, das auch vor der … letzten amerikanischen Intervention hier schon gelebt hat … dann beschränken Sie sich in der Kommunikation auf das Nötigste, trinken Sie nicht aus denselben Gefäßen und … Es wird natürlich nicht restlos zu vermeiden sein, daß Sie mit diesen Leuten zu tun haben, sie bauen ja unsere Häuser und so fort … aber so schlimm ist das alles nicht, glauben Sie mir, im Sinn der klassischen Ureinwohnerkriterien ist dieser Ort derzeit praktisch menschenleer.«
    Die Erzählung einer Amerikanerin namens Kidder, mit der sich Stefanie schon kurz nach der Ankunft angefreundet hatte, beim gemeinsamen Abendessen mit einigen Mitgliedern der deutschen Kolonie, verdeutlichte, was damit gemeint gewesen war: »Oh, sure, selbstverständlich gibt es diese Seuchen. Unter den Einheimischen, ein bißchen unter den Soldaten – aber, sehen Sie: Erst vor kurzem habe ich das Herzstück der Reste der öffentlichen Gesundheitsversorgung von Haiti aufgesucht, das

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