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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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die hyperschnellen Kommandoketten der alten Bündnisse, wieder aktiviert werden könnten, wenn man das Muster ihrer Zerstörung kennen würde, die Funktionen und Programme. Gesucht werden also geniale Menschen, die dieses ganze kriegswichtige Zeug entweder rekonstruieren können, oder Info-Dealer, die wissen, wie man es kaputtgemacht hat. Wir haben einige dieser Leute gefunden, sagst du. Welches Interesse die Amerikaner an uns haben, ist also klar.
    Aber welches haben wir an ihnen?
    Ist jedenfalls alles viel interessanter als der Typ, über den wir nicht reden sollen. Und über den ich deshalb auch nix mehr schreiben werde. Egal, was er für ein Käppchen auf dem Kopf hat. Na, schon provoziert? Egal.

Achthundertvierundfünfzigster Tag
    Ich schreibe bei Notstrom. Das Notizbuch hier habe ich in Skribas Keller gefunden.
    Es ist ein alter Kalender, verludertes, schmutziges Ding. Wir sind offline, und zwar gründlich.
    Skribas Keller – die Türklappe steht weit offen, um Luft reinzulas sen, denn die Ventilation ist kaputt und auch da unten, wie in jedem geschlossenen oder offenen Raum des Camps, haben wir ein Lazarett eingerichtet. Hauptsächlich, damit die Leute irgendwo anders sterben können als mitten unter denen, die schon tot sind.
    Vor zehn Minuten war ich das letzte Mal an Jims Lager, habe seine Hand gehalten, und er hat seinen rechten Arm auf den Ellbogen gestützt, meine bleiche Hand gegriffen und so fest zugedrückt, daß mir fast die Tränen kamen.
    »Ähüüä« hat er gesagt, und immer wieder »Ähüüä«.
    Ich nicke dazu wie der letzte Trottel, wie ich’s im Zivildienst auf der Neurologie der Freiburger Uniklinik gelernt habe: Wenn sie richtig schlimm dran sind, dann gib ihnen in allem recht, egal wie unartikuliert sie schlabbern. Jim sieht furchtbar aus, der Unterkiefer ist ausgehängt und zum Teil zerschmettert, die ganze untere Gesichtshälfte erinnert an einen Salatkopf, mit dem Kinder Fußball gespielt haben. Karin ist noch nicht wieder bei sich, sie liegt auf meiner Schlafstatt. Ich wollte sie da haben.
    Ihre Augen flattern, rollen. Jim wird nicht wieder, denke ich, aber daß wir nicht mal sein Gesicht wiederherstellen können – wir haben natürlich nichts von diesen tollen Frankensteinklammern für solche Verletzungen –, ist wirklich bitter und zum Heulen. So sollte man nicht aussehen, beim Sterben. Mit dem Verband, der die Trümmer fixieren soll, wirkt mein Ausbilder wie eine dieser »Zahnweh«-Karikaturen aus den billigen Frauenzeitschriften, die meine Alte immer gelesen hat. »Woche der Oma« nannte Judith das Zeug pauschal, und witzig.
    »Ähüüä, Ähüüä.« So ging das minutenlang, ich wollte nur weg, bis mir plötzlich Nicole einen Schreibblock von der Seite vor die Nase hielt, und einen Bleistift – ich schaue von ihr zum Block zu Jim, und der nickt, die Augen weit aufgerissen, so gut er eben kann. Also helfen Nicole und ich ihm, die Beine anzuwinkeln, den Block auf die Oberschenkel zu legen, und mit zittriger Hand schreibt er ungelenk aufs Blatt, wobei er den eigentlich weichen Bleistift fast zum Papiermesser umfunktioniert:
    AERYN.
    Ich bin froh, daß er meine Hand losgelassen hat, beuge mich nach vorn und sage: »Aeryn. Your daughter.« Denn so heißt, wie ich von Karin weiß, das Mädchen, das sie zurücklassen mußten, auf ihrer Flucht in diese Halbwüste. Er faßt den Bleistift fester mit der Faust und krikelt GET vor den Namen.
    GET AERYN.
    Das Mädchen retten, ja. Ich weiß nicht, ob er Fieber hat, ich weiß nicht, ob er orientiert ist, ich sage: »I’ll try. Ich versuche es, Jim. Und du wirst mir helfen.«
    Er hebt und senkt langsam die Lider. Nicole versucht, ihn neu zu betten, ich helfe. Er tastet nach Block und Stift. Nicole stützt die Beine, greift drunter, ich den Kopf, und Jim schreibt:
    PROMISE
    unter
    GET AERYN.
    Ich sage: »Ich verspreche es«, und er schließt die Augen, ohnmächtig.
    Wir waren vorbereitet, wir kannten den Drill, und es hat überhaupt nichts genutzt.
    Es war Jamal, der den Verrat entdeckt, und die Chica, die ihn begangen hat. Die Frau aus Las Vegas und ihr Deal, uns an die Syrer zu verkaufen, flogen zwanzig Minuten vor dem Angriff auf. Er hat sie am Funkgerät erwischt, wie sie die letzten Instruktionen erhielt und vergeben hat. Hättest du mir prophezeit, daß uns wer verraten würde, ich hätte natürlich auf Jamal getippt, arabophober Rassist, der ich bin. Ich muß an den Lenny-Bruce-Witz denken, über die multiethnischen Rührfilme

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