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Für immer in Honig

Für immer in Honig

Titel: Für immer in Honig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Dath
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betreffs Zweiter Weltkrieg, von wegen, der Kataklysmus hat uns zusammengeführt, jetzt wachsen wir gemeinsam über uns selbst hinaus: »Schau, O’Leary hier ist ein Ire aus New York, und Rosenthal ist Jude, und Vanelli da drüben ist Italiener, Grimm kommt aus der Bronx, wir müssen alle miteinander auskommen … und gemeinsam die Puertoricaner verprügeln.«
    Chica. Ihr richtiger Name war Iyari, hat Skriba gesagt, der vielleicht lange nichts mehr sagen wird. Jamal hat sie überwältigt und dabei ordentlich was abgekriegt. Er war verletzt, bevor irgendjemand anderer im Camp verletzt wurde – die Wange blutete saumäßig, aber ich dachte bloß, als er Iyari in Handschellen bei den Haaren in den SitRoom schleifte: Wenn Valerie das gemacht hätte, wäre es nicht bloß die Wange gewesen.
    Soll ich aufschreiben, was sie gestammelt hat, gespuckt und gegrunzt, während man sie dort verhört hat, im Beisein Echnatons und seiner Leute? Den ganzen Scheiß aus ihrem Mund, bevor Jim und Jamal sie rausgeführt und beim Garten, Karins und meinem Rendezvouspunkt, erschossen haben? Als man ihr unter die Arme griff, um sie rauszutragen, hat sie mich angeschaut. Natürlich nicht nur mich, der Blick glitt so ganz allgemein über die Leute im Raum, aber die Anrede war keine der Mehrzahl, bei dieser Verabschiedung, und ich bilde mir ein, ihr Blick wäre an mir hängen geblieben: »Adios, muchacho!«
    Iyari, das Mädchen aus Las Vegas, Yakovs Freundin: eine prosyrische Spionin. Irrsinn.
    Was Jim uns übersetzte, von ihrer panischen letzten Rede unter Verhörbedingungen, verstehe ich nicht, obwohl ich mich genau dran erinnere, hinter jeden Satzfetzen müßte ich ein Fragezeichen setzen:
    Jede Nacht?
Die Frau?
Die weinende Frau?
Seit Amerika?
Skriba weiß nichts?
Kein Mensch?
Was ich mache, mache ich für die Menschen?
    Der Schuß in Iyaris Kopf wurde von den Gefechtsstand-Sirenen übertönt.
    Noch während ich mit Arthur, Evrem, Gina, Carl und David über den großen Platz lief, zu unseren Posten, röhrten die Motoren der kleinen Löwen auf – ich war der zweiten Verteidigungslinie zugeordnet, Boden-Boden, durfte nicht mitstarten. Drei von Echnatons Leuten schlossen sich uns an, aber es war eigentlich für alle Maßnahmen längst zu spät. Wir hätten uns genauso gut drum schlagen können, wer in eins der Flugzeuge darf – ich hätte die Scheiße gern von oben gesehen, auch wenn sie mich dann wahrscheinlich runtergeholt hätten, wie Sayed, Maurice und Muhammad. Wie alle unsere Maschinen.

Später
    Nie habe ich etwas Lauteres und Konfuseres erlebt als die erste Angriffswelle. Diese zigarrenförmigen Lichtbalken überall, die Einschläge, den einknickenden ersten der drei Türme, den schwarzgelben Feuerball, der wie ein in Zeitraffer aufgepumptes Gummiboot aus dem Bug des großen Choppers herausplatzte, ne pas ouvrir les portes moteur, ich dachte: Kanonen von Valmy, ohne zu wissen, wo das überhaupt war, was und warum.
    Wir sind dabei gewesen, hat Goethe geschrieben. Ich wäre aber sehr gern nicht dabei gewesen. Krieg ist laut, Krieg ist vor allem heiß, und wenn er losgeht, versteht man zunächst überhaupt nichts mehr. Es ist nicht wie im Fernsehen, im Kino, in den Comics, es ist noch nicht mal wie in der Musik, »The Trooper«, man will nicht in den Feind reinrennen, man will ins Bett, oder drunter.
    Splitternder, prasselnder Schauer von Glas. Schwarzer Rauch, Blitze in Päckchen. Ich wußte zuerst gar nicht, wohin ich schoß, bis mir der Oberarm weh tat, gegen den ich die Schulterstütze aufgebockt hatte, bis das Gewehr heiß lief und der Clip verbraucht war.
    Einfach nach draußen ballern, dachte ich, wird schon stimmen, immer schön von der Barrikade runter, dahin, wo sich was bewegt. Bald kletterten welche übern Außenzaun, lebende Tote, die aus gepanzerten Schildkrötenfahrzeugen sprangen und deren Extremitäten, von meinen Kugeln und denen meiner Freunde getroffen, hin und her flogen, hierhin und dort. Leiber öffneten sich, Köpfe knickten ab, gingen entzwei. Höchstens ein Drittel der ersten Welle kam nach dem Außenzaun wieder auf die Beine, Stümpfe, Hände, Knie, um sich uns weiter zu nähern. Ich dachte schon, verblendet: Niemand wird uns erreichen, niemand wird das Camp nehmen. Ich schaute nach hinten, zur »Moschee«, da standen Jim und Jamal auf dem Dach und bauten irgendwas Langes, Heuschreckenartiges auf, das zwei Männer brauchte, um es zu bedienen. Aber dann flogen zwei dieser schrecklichen Lichtzigarren an ihnen

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