Für immer tot
ihren Gesundheitszustand, Experten mutmaßten, wie lange sie im besten Fall noch überleben würde. Moderatorenstimmen. Die immer gleichen Bilder aus dem Wald, die Wiesen, die Schlucht.
Nichts mehr über Hanni, nur kurz war sie Thema, ihr Tod war nur ein trauriger Zufall, nur ein weiterer Schlag, der die Familie Broll plötzlich getroffen hatte. Nichts davon, dass die Welt von Max in Trümmern lag, dass Wagner ein verdammtes Dreckschwein war, dass er für alles verantwortlich war, dass er sie umgebracht hatte, dass Blums Frau in Baronis Schlafzimmer eingesperrt war. Nicht, dass la Ortega sich um den Kleinen kümmerte, dass sie mit ihm spielte am Wohnzimmerboden, dass er einschlief auf ihrem Schoß, während seine Mutter eingesperrt im Schlafzimmer auf und ab ging und darauf wartete, dass jemand mit ihr redete. Nichts davon war auf dem Bildschirm.
Die Wirklichkeit war unsichtbar.
Keiner konnte sehen, wie sich in Baronis Schlafzimmer die Wahrheit zeigte. Wie klar wurde, dass Tilda recht hatte. Auf den Bildschirmen sah man nur betroffene Dorfbewohner, die Gutes über sie sagten, die für sie beteten und den verfluchten, der ihr das angetan hatte. Alle Augen richteten sich auf das Gebiet, in dem gesucht wurde, auf die Frauen und Männer, die seit Tagen durch den Wald strichen. Wie erfolglos sie waren. Wie verzweifelt. Ganz Österreich schaute zu, rechnete mit dem Schlimmsten, immer weniger glaubten an ein gutes Ende. Daran, dass jemand noch etwas für Tilda Broll tun konnte. Während sich in Baronis Villa der Himmel lichtete, verloren die Suchenden die Hoffnung. Mit jeder Stunde wurden die Beine langsamer, die Gedanken schwerer.
Die Stimmung im Tal war düster.
Max gießt auf.
Wasser über den Ofen, Wasser, das sich heiß auf seine Haut legt. Max in der Sauna. Er wird hier bleiben, er wird sich nicht mehr bewegen, nackt bleiben. Er hat alles getan. Mehr als er konnte, er hat keine Kraft mehr. Max. Wie heiß es ist. Wie er weinen will, noch mehr, alles herausweinen will aus sich. Wie er es nicht kann und sich mit kleinen, unbeholfenen Tränen zufrieden gibt.
Max im Friedhofsgarten, allein. Max in der Blocksauna. Ohne Tilda. Ohne Hanni.
Wie sie aus dem Auto stiegen vor zwei Stunden.
Wie sie ankamen, in Baronis Wohnzimmer saßen und überlegten, was zu tun war, was weiter passieren sollte, was sie mit der Frau machen würden, was mit dem Kind. Wie der Junge auf la Ortegas Schoß lag. Wie dieses kleine unschuldige Atmen aus ihm kam, wie die Schritte der Mutter laut waren auf dem Schlafzimmerfußboden. Nur ihre Schritte. Ihre Angst. Und die Angst von allen anderen. Überall im Haus war sie. Weil sie eine Frau entführt hatten, ein Kind, weil Wagner gedroht hatte, la Ortega zu töten, weil Tilda unter der Erde und Hanni tot war. Angst. Wie sie auf der Couch saßen. Wie sie die besorgten Schritte hörten und nicht weiter wussten.
Sie würden das Kind töten, hatte Baroni gesagt. Sollte sie schreien, sollte sie Hilfe holen, aus dem Fenster winken, springen, sie würden nicht zögern. Baroni ließ keinen Zweifel daran und versperrte die Tür.
Es musste sein. Max hielt ihn nicht davon ab. Sie zwangen sich, nicht zu zweifeln, ob es richtig war, was sie taten, nicht an die Konsequenzen zu denken. Keine Sekunde lang. Ob Baroni recht hatte oder nicht, war nicht mehr wichtig, ob es tatsächlich Wagners Sohn war, ob Wagner dieser Frau tatsächlich geholfen hatte, schwanger zu werden. Es war egal. Sie war da, sie hatten sie mitgenommen, eingesperrt, ihr gedroht. Irgendetwas würde sie wissen, irgendwie würde sie ihnen weiterhelfen können, es musste so sein. Eine andere Möglichkeit gab es nicht. Sie war die Einzige, die ihnen jetzt noch helfen konnte, mit ihr zu reden war die letzte Chance, zu verhindern, was kommen sollte.
Eine verängstigte Frau. Ihre Schritte im Nebenzimmer. Das Kind. Wie es atmete.
Ich will allein mit ihr reden, sagte Max vor einer Stunde.
Dann ging die Schlafzimmertür hinter ihm zu.
– Geht es ihm gut? Was haben Sie mit ihm gemacht? Bitte. Warum tun Sie das? Warum sagt mir niemand, was hier los ist, warum reden Sie nicht mit mir, bitte, sagen Sie etwas. Warum entführen Sie uns, wollen Sie Geld? Bitte, ich flehe Sie an, lassen Sie mich zu meinem Kind.
– Warum ist meine Freundin tot?
– Ich will sofort zu meinem Kind, auf der Stelle. Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden, was zum Teufel Sie von mir wollen, ich will mein Kind, jetzt, Sie lassen mich sofort zu ihm.
– Wenn Sie nicht still
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