Für immer tot
geortet hat, ist zu groß, es kann noch Tage dauern, Wochen, bis sie die Stelle finden, an der er sie vergraben hat.
Die Zeit reicht nicht. Ohne Wagners Hilfe werden sie Tilda nicht finden. Ohne ihn wird sie sterben. Und Paul weiß das.
– Sie kann nicht mehr.
– Doch, sie kann.
– Sie sagt, dass ihre Beine weh tun, dass es unerträglich ist, sich nicht bewegen zu können, sie sagt, sie kann kaum noch.
– Sie sagt gar nichts mehr, weil dieses beschissene Handy keinen Akku mehr hat. Vielleicht hören wir sie nie wieder.
– Ich habe eben mit ihr telefoniert.
– Was hast du?
– Ich habe sie vor zwanzig Minuten angerufen, ich musste ihr sagen, dass sie recht hatte.
– Das kann nicht sein.
– Doch.
– Ich habe zwanzigmal versucht, sie zu erreichen, da war immer nur das Freizeichen, ich dachte, sie ist weg. Für immer.
– Ich habe ihr gesagt, sie soll es ausschalten, wenn sie schläft.
– Warum tust du das? Bist du verrückt geworden?
– Ich will nicht, dass sie die Verbindung zu uns verliert, ich habe ihr gesagt, sie soll den Akku schonen.
– Warum sagst du mir das nicht?
– Jetzt sage ich es dir.
– Scheiße, Paul.
– Mehr als das, Max.
Stundenlang hat Paul ihnen allen Hoffnung gemacht, doch jetzt ist seine Stimme leise, man hört sie kaum noch. Seit unzähligen Stunden ist er unterwegs, hat nicht geschlafen, hat mit tausend Menschen gesprochen, sich Sorgen gemacht ununterbrochen, Angst um sie gehabt, er hat gesucht, telefoniert, die Kollegen aus Wien angetrieben, immer neue Peilungen angeordnet, gefleht und gebettelt, auf ein Wunder gehofft. Doch die Technik half nicht weiter, sie scheiterten immer wieder, Tildas Handy ließ sich nicht orten, nicht genauer, als sie es ohnehin schon wussten, unzählige Stunden an teuren Geräten blieben ohne Ergebnis, der Radius wurde nicht kleiner. Tilda ist irgendwo und irgendwo ist unendlich weit weg. Zu weit, um sie zu finden. Paul kann nicht mehr. Max und Baroni können nicht mehr. Drei Männer auf der Saunabank.
Über zehn Minuten lang sitzen sie da, ohne zu reden. Sinnlos starren sie die Polarfichte an.
Zehn Minuten lang nichts.
Schicksal, sagt Baroni noch einmal.
Ich scheiß auf das Schicksal, sagt Max.
Dann stößt er die Tür auf.
Neunzehn
Mitternacht. Max im Auto.
Er fährt schnell. Es ist warm in ihm, der Alkohol macht ihn mutig. Im Auto über die dunkle Landstraße, Richtung Waldrand, dorthin, wo die Übertragungswagen stehen, wo die Kameras sind, die Journalisten, wo die Meute auf Beute wartet. Keine Straßenlaternen, er ist allein auf der Straße, kein Gegenverkehr, nur er und das, was er vorhat, die Worte, die er sich zurechtlegt, sein Plan, der Tilda retten soll, der letzte Ausweg, vielleicht ein weiterer sinnloser Schlag ins Wasser. Vielleicht. Aber es gibt nichts zu tun sonst. Er will sich nicht damit abfinden, dass jemand anderer entscheidet, dass das Schicksal die Menschen aus seinem Leben reißt, einfach so. Das kann er nicht. Egal was kommt. Er wird alles getan haben. Er wird sie retten. Egal wie. Er schlängelt sich die Kurven entlang, die Schlucht hinauf.
Er hat sich nicht umgezogen, vor dem Saunahaus hat er wieder sein verschwitztes, blutiges Hemd übergezogen, immer noch klebt dieser unendlich lange Tag daran, alles, was war, Vinzenz, Hanni, Wagner. Mit jedem Blick auf sein Hemd ist es wieder da, jede Einzelheit. Wie sie durch den Flughafen gelaufen sind, wie sie liegen geblieben sind auf dem Toilettenboden, wie sie wieder aufgestanden sind und diese Frau in ihr Auto gesetzt haben. Wie sie zurück ins Dorf gefahren sind, hoffnungsvoll. Wie sie dachten, dass alles zu Ende sein würde, bald.
Wie Paul nur noch da saß, nackt, und trank.
Aussichtslos alles.
Dunkel. Von der Landstraße biegt er auf einen kleinen Weg ab. Max fährt auf die Lichter zu. Er will es zu Ende bringen. Er parkt und geht zu den Übertragungswagen, bleibt stehen und schreit. Zuerst seinen Namen. Und dann, dass er reden will, jetzt. Angespannt wartet er, bis sie sich um ihn scharen, schaut zu, wie sie aus ihren Löchern kriechen, wie ihre gierigen Augen ahnen, was jetzt kommen wird.
Max Broll, der Stiefsohn der Entführten, der Freund der toten Hanni Polzer, Max Broll, der Totengräber. Wie sie ihre Zähne fletschen, auf ihn zugehen, ihn umkreisen. Sie wissen noch nichts von den neuesten Entwicklungen, nichts von Blum, nicht dass er Leopold Wagners Schuld bestätigt hat, dass er ein Mörder ist. Sie drängeln, die ersten Fragen schießen in
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