Fuer immer und einen Tag
Gefühl und entschied mich für vier: Mut, Liebe, Hoffnung, Frieden. Voller Begeisterung stellte ich mir vor, was jeder meiner Lieben mit seinen Grundzutaten anfangen würde. Der Ladenbesitzer hatte wieder einmal recht, jeder würde sein eigenes Glücksrezept entwerfen, und ich konnte nichts weiter tun, als meine Gaben an sie weitergeben und hoffen, dass ihr Leben genauso wunderbar verlaufen würde wie meines.
»Liefern Sie auch aus?«
»Schon geschehen«, sagte er. »Aber bevor du gehst, habe ich noch ein Geschenk für dich.« Er holte etwas aus seiner Hosentasche. Es war eine winzige Schachtel, genauso schön und sorgfältig verpackt wie die in den Regalen, nur ohne Aufschrift, und als er sie mir gab, passte sie in meinen Handteller. »Etwas Besonderes von deinem Mann.«
»Von Ben?«, sagte ich und starrte das Schächtelchen an. Das Geschenkpapier glänzte, ein flammendes Farbenspiel aus Orange-, Rot- und Goldtönen. Vorsichtig zupfte ich an der Schleife, die raschelte wie trockenes Herbstlaub. »Kann ich es aufmachen?«
»Nein, noch nicht. Ben muss zuerst überlegen, was er hineintun will â ah, wenn man vom Teufel spricht, ich glaube, er will dich gerade wecken.«
»Was?«, murmelte ich zwischen Schlafen und Wachen.
Ben stupste mich an, um mich aus meinem Schlummer zu holen.
»Emma«, schmeichelte er, »es ist noch ein bisschen früh für ein Nickerchen, meinst du nicht?«
Eine Zeitschrift glitt von meinem SchoÃ, als ich versuchte, mich im Sessel aufzurichten. Es klang für mich, als würde ein Engel mit den Flügeln schlagen, und im ersten Moment war ich völlig desorientiert. Das Zimmer lag im Dunkeln â als ich die Augen zugemacht hatte, war es noch heller Nachmittag gewesen, ein Frühlingsnachmittag.
Benommen sah ich zu, wie mein Gefährte eine Lampe anknipste. Er war immer noch der Mann, in den ich mich damals, vor so vielen Jahren, verliebt hatte. Mich störten weder seine Geheimratsecken noch die leicht gebeugten Schultern noch das Stöhnen, wenn er morgens aufstand, und ich hoffte, dass es ihm mit mir genauso ging. Allmählich spürte ich mein Alter wirklich, ich konnte längst nicht mehr alles machen wie früher, oder es kostete mich sehr viel mehr Anstrengung. Aber ich fühlte mich nicht alt, nicht im Kopf, und ich hatte noch jede Menge Pläne.
Wir waren in den vergangenen Jahren an unsere Grenzen gegangen. Es hatte uns nicht genügt, die Welt zu sehen, wir hatten sie regelrecht verschlungen. Meine gröÃte Angst war, dass ich eines nicht allzu fernen Tages gezwungen sein würde, damit aufzuhören, auch wenn meine Neugier und Abenteuerlust noch kaum gestillt waren. Die Zeit und mein Körper arbeiteten gegen mich.
»Schon wieder ein Reisemagazin?«, sagte Ben, als er es aufhob. »Wir sind doch erst vor zwei Tagen die Enkelkinder losgeworden, willst du nicht erstmal eine Atempause einlegen?« Als er mich sehnsüchtig zu der Zeitschrift hinschielen sah, seufzte er resigniert. »Wohin jetzt schon wieder?«
»Tiefseetauchen?«, sagte ich, als würde ich etwas ganz Alltägliches wie ein Käsesandwich zu Mittag vorschlagen.
Ben lachte sein tiefes, kehliges Lachen. »Gott, mittlerweile brauche ich ein Sauerstoffgerät, um die Treppe hinaufzukommen, ist das nicht schon schlimm genug?«
Da musste ich auch lachen, nur dass mein Lachen in einen Hustenanfall überging und ich nach Atem rang. Bens Scherz traf eher auf mich als auf ihn zu, wie er sehr wohl wusste. Inzwischen musste ich mir nach Art der alten Leute auf die Brust klopfen, um meine Lunge daran zu erinnern, dass ich gleichzeitig lachen und atmen können sollte.
Ben hockte sich neben mich und legte mir seinen Arm um die Schultern. »Du bist nach wie vor mein Augapfel, aber du kannst nicht weiter auf der Suche nach deiner verlorenen Jugend um die Welt jagen. Vielleicht ist es an der Zeit, dass wir unsere Wanderschuhe an den Nagel hängen.«
Ich sah ihn an und fragte mich, worauf das hinauslaufen sollte. Wurde er zu alt für all das, oder, schlimmer noch, fand er, ich sei reif fürs Altenteil? Sicher, ich hatte mit meiner Gesundheit zu kämpfen, der Husten, der mich seit Monaten plagte, ging einfach nicht weg, aber noch war ich am Leben und bestimmt nicht bereit, mich in Watte packen zu lassen. »Wirklich?«, hakte ich stirnrunzelnd nach.
Ben kicherte wie ein Schuljunge.
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