Fuer immer und ledig - Roman
viel Zeit miteinander. Jeden Tag sahen wir uns an der Uni, und selbst wenn ich genauso gut zu Hause hätte bleiben können, rannte ich hin und belegte Übungsräume, in der Hoffnung, irgendwann Marc über die Füße zu laufen. Wir schnappten uns dann einen freien Tisch, tranken literweise Kaffee und quatschten über alles, also wirklich über alles, was uns so einfiel. Über Musik, über unsere Eltern, über das Wetter, über die Bundesregierung, über die Milchpreise, über die Farbe der Cafeteriastühle. Ein Jahr lang sahen wir uns öfter, als gut für mich war, und dann, ein paar Tage vor meinem Abschlusskonzert, verschwand er aus meinem Leben. Seine Prüfungstermine lagen zwei Wochen vor meinen, und als ich ihn fragte, ob er zu meinem Konzert käme, sagte er leichthin, da sei er leider schon in New York. Ich hatte es für einen Scherz gehalten, aber einsame Cafeteriapausen belehrten mich eines Besseren. Meine Enttäuschung darüber, dass er einfach
aus meinem Leben verschwunden war, gab meinem Spiel offenbar so viel mehr Wucht, dass ich mit lauter Einsen durchgewunken wurde.
Okay, ich war zu der Zeit mit Gernot zusammen, aber das lag nur daran, dass ich mir bei Marc null Chancen ausgerechnet hatte. Wenn ich allerdings jetzt, mit einigem Abstand, noch einmal über alles nachdachte …
Ich hörte sofort mit dem Nachdenken auf und kramte nach meinen alten Tagebüchern. Marc war der Grund gewesen, zum ersten Mal Tagebuch zu führen. Nach Marcs Verschwinden hörte ich auch gleich wieder auf mit dem Tagebuchschreiben. Ich fand schließlich die drei vollgeschmierten Notizbücher, kochte mir extrastarken Kaffee und einen riesigen Topf Nudeln mit Tomatensoße, und bis in die frühen Morgenstunden hinein beamte ich mich zurück in die Jahre 2003 und 2004.
Es war dieser unglaublich heiße Sommer, und nur wenige verbrachten auch während der Semesterferien Zeit an der Hochschule. Ich war zum Üben dort, weil mein Flügel zu der Zeit noch im Haus meiner Eltern stand und meine Schwester gerade zu Besuch war - abgesehen davon, dass Vater und Mutter meine mehrstündigen Übungseinheiten nur schwer bis gar nicht ertrugen. Zusammen mit meiner Freundin und Kommilitonin Tiffy saß ich im Halbschatten auf dem Rasen, nicht weit von uns eine Gruppe Studenten, die wir nur vage vom Sehen kannten.
»Die Dirigentenklasse«, flüsterte Tiffy mit hochgezogenen
Brauen. Ich drehte träge den Kopf, was an einem so heißen Tag eine ganz unglaublich schweißtreibende Angelegenheit war, und musterte die fünf Jungs durch meine riesige Sonnenbrille.
»Keine Neuigkeiten an der Front. Mindestens drei von fünf schwul«, wisperte ich zurück.
»Warum sind da eigentlich nie auch mal Frauen für mich dabei?« Sie seufzte tief.
Einer von ihnen stand gerade auf und sagte: »Also zwei Limo und zwei Wasser?« Seine Freunde murmelten Zustimmung.
»Und eine Cola und Vanilleeis«, rief ich halblaut im Scherz hinterher. Er drehte sich nicht um, sondern verschwand im Gebäude, und ich war mir sicher, dass er mich nicht gehört hatte.
»Scheiße, ist der schön«, fluchte ich.
»Und damit ist er ganz sicher einer von den dreien«, nickte Tiffy zufrieden. Wir hatten ihn im vergangenen Studienjahr schon öfter an uns vorbeigehen sehen, und während ich jedes Mal leise Seufzer der Begeisterung ausgestoßen hatte, war es Tiffys Aufgabe gewesen, mich darauf hinzuweisen, dass so ziemlich alle Frauen um uns herum gerade genau dasselbe taten.
»Immer die Besten«, bestätigte ich und musterte die vier zurückgelassenen Jungs. Sie sahen nett aus, ein bisschen wie geklont, denn sie waren alle groß, schlank und dunkelhaarig.
»Vielleicht ist das Aussehen ein Aufnahmekriterium für die Dirigentenklasse«, sagte Tiffy.
»Wenn mal ein kleiner, dicker Blonder dazwischen ist, wissen wir, dass was faul ist am Lehrstuhl«, kicherte ich, als mir ein Pappbecher mit Vanilleeis in den Schoß fiel. Eine Sekunde später baumelte eine Flasche Cola vor meiner Nase.
»Für den Koffeinjunkie«, sagte eine Stimme hinter mir. Ich nahm verdattert die Flasche und drehte mich um, aber er ging schon weiter zu seinen Freunden.
»Danke«, rief ich ihm hinterher.
»Ist das schon Sonnenbrand oder noch Schamesröte?«, fragte Tiffy, und ihre Augenbrauen schossen über den Rand ihrer Sonnenbrillengläser. »Jetzt geh schon hin und frag ihn, wie viel du ihm schuldest. Na los!«, drängelte sie, aber in dem Moment stand die Gruppe auf und zog, die Getränke gierig in sich
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