Für immer untot
Pritkin noch nicht hatte, begriff ich.
Kein Wunder, dass er von seinen Fähigkeiten unbekümmert Gebrauch machte und sich bei Berührungen nicht zurückhielt.
Ich erinnerte mich daran, wie sehr er mich gerade berührt hatte, und neue Hitze stieg in mir auf. Gott, ich hasste ihn. Aber den Geis hasste ich noch etwas mehr.
»Ich möchte mich von dem Geis befreien«, sagte ich plötzlich. »Deshalb brauche ich den Codex. Kannst du mir helfen?«
Pritkin sah mich skeptisch an. »Du erwartest von mir zu glauben, dass es dir die ganze Zeit nur darum gegangen ist?«
»Warum willst du den Codex, wenn nicht wegen eines Zaubers?«, hielt ich ihm entgegen.
»Ich will ihn zerstören! Nur dadurch kann ich sicherstellen, dass er niemals Leuten wie dir in die Hände fällt!«
»Gib mir den Zauber, der den Geis neutralisiert, und du kannst mit dem Codex machen, was du willst! Er ist mir schnuppe.«
Wir schwiegen eine Zeit lang, und er musterte mich mit einer Mischung aus Verwunderung und Zorn. Zum ersten Mal sah er wie mein Pritkin aus, wie der dreiste, sarkastische und brutal ehrliche Mann, den ich kannte. »Warum hast du das nicht gleich gesagt?«, fragte er schließlich.
»Ich frage dich jetzt! Gibst du mir den Gegenzauber oder nicht?«
Pritkin streckte die Hand nach mir aus, und ich fühlte meine Aura knistern.
»Du trägst zwei Geasa, nicht einen«, teilte er mir kurz darauf mit. »Und sie sind auf seltsame Weise miteinander verbunden. So etwas habe ich nie zuvor gesehen. Wie ist es dazu gekommen?«
»Es ist eine lange Geschichte.« Und eine, die ich ihm nicht erzählen konnte.
»Bist du in der Lage, beide Zauber zu neutralisieren?«
»Vielleicht. Wenn du mir die Karte zurückgibst.«
»Wie oft soll ich das noch sagen? Ich. Habe. Sie. Nicht.«
»Wo ist sie, wenn du sie nicht genommen hast?« Plötzlich riss Pritkin die Augen auf. »Mein Mantel!«
Ich brauchte einige Sekunden, aber dann ging mir ein Licht auf. Ein breites Grinsen erschien in meinem Gesicht, und ich versuchte nicht, es weniger schadenfroh zu machen. »Meinst du den Mantel, den du beim Stehlen der Karte getragen hast? Den sich Mircea geschnappt hat, bevor wir aufbrachen?«
Pritkin knurrte, und mein Grinsen wurde noch breiter. Er zischte einige Worte, keins von ihnen in einer mir bekannten Sprache. Vermutlich handelte es sich um altbritische Versionen von »zum Teufel mit dir«.
»Gibst du mir den Gegenzauber oder nicht?«, fragte ich.
»Bring den Vampir dazu, mir die Karte zu geben, dann kriegst du den Zauber«, brachte Pritkin schließlich hervor, und es klang, als würde er fast an den Worten ersticken.
Ich lehnte mich an die Wand und fühlte mich plötzlich erschöpft.
»Abgemacht.«
Wir kehrten zurück zu dem Keller unter der Schenke, aber er war leer, und das laute Lokal darüber steckte voller Leute, die nicht Mircea waren. »Würde er sich allein auf die Suche nach dem Codex machen?«, fragte Pritkin.
»Ich glaube nicht.« Mircea war hinter mir her, nicht hinter dem Codex. »Aber er wird bald merken, dass du die Karte vermisst, und dann rechnet er bestimmt damit, dass du nach ihm suchst. Und dass es zu einem Kampf kommt. Ich nehme an, deshalb ist er nicht an diesem Ort geblieben – zu öffentlich.«
»Wohin könnte er gegangen sein?«
Ich öffnete den Mund, um darauf hinweisen, dass Gedankenlesen nicht zu meinen Fähigkeiten gehörte, doch dann schloss ich ihn wieder. Das Rosenfenster, dachte ich und beobachtete, wie es in meiner Erinnerung einem großen Weihnachtsbaumschmuck gleich aufleuchtete. Es war mitten in der Nacht, und die Straßen bei der großen Kathedrale waren leer, trotzdem hatte im Innern der Kirche Licht gebrannt. Gab es einen besseren Ort für einen Showdown?
Ich wies Pritkin daraufhin, und er gab ein Geräusch von sich, das bei jemand anders auf einen beginnenden Herzanfall hingewiesen hätte. Aber er zog mich in den Keller zurück und öffnete so ungestüm eine Ley-Linie, dass es aussah, als wollte er die Luft zerreißen. Einen Moment später, nach einer weiteren wilden Fahrt zwischen den Welten, öffneten wir das Hauptportal von Notre Dame.
Rechts und links von uns erstreckten sich große Buntglasfenster, die im Licht einiger Dutzend Kerzen zu glühen schienen. Sie wirken viel echter als die im Kasino, was nicht weiter verwunderlich war. Ihr Glas rollte in sanften Linien nach unten, war dort dicker als oben und im Lauf von Jahrhunderten spröde geworden. Das Licht weiterer Kerzen fiel auf einen Bogen aus
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