Für immer untot
Seide hervorguckten. Ich hatte ganz vergessen, dass ich sie trug, so wie er vergessen hatte, sie zu durchsuchen. Ich errötete beim Gedanken daran, warum wir so abgelenkt gewesen waren.
Ich zog die Stiefel unter den Stoff zurück, aber das nützte mir nichts. Mircea kniete vor mir, nahm einen Fuß in die Hände und starrte ungläubig auf den großen, verdreckten Stiefel hinab. »Woher hast du das?«
»Ah.« Der Stiefel war etwa Größe fünfundvierzig und gehörte ganz offensichtlich einem Mann. Mircea kratzte etwas Schmutz vom Absatz, und ein Messer kam zum Vorschein. Es fiel mit einem metallenen Scheppern auf den Boden, und wir starrten beide darauf hinab.
»Du trägst die Schuhe des Magiers?«
»Eigentlich sind es Stiefel.«
Mircea kniff die Augen zusammen. »Ja, das sehe ich. Und warum trägst du sie?«
»Weil ich kalte Füße bekam.«
»Und er war so nett, dir sein Schuhwerk auszuleihen?«, fragte Mircea, die Stimme voller Sarkasmus. »Nicht unbedingt.«
»Du hast ihm die Schuhe gestohlen?« Mircea klang so, als könnte er es nicht ganz glauben.
»Stiefel. Und ich habe sie ihm nicht direkt gestohlen. Ich meine… Zum betreffenden Zeitpunkt hat er sie nicht benutzt.«
»Und warum nicht?«
»Äh.«
Mircea zog mir auch den zweiten Stiefel vom Fuß und warf beide zur anderen Seite des Zimmers. Dort knallten sie gegen die Holzvertäfelung, und Dutzende von kleinen Schmutzbrocken prasselten auf den Boden. Mircea achtete nicht darauf; sein Interesse galt Pritkins Socken.
Sie bestanden aus grober grauer Wolle, die überhaupt nicht zu meinem Kleid passte, und außerdem waren die Socken wie die Stiefel zu groß.
Diesmal verzichtete Mircea auf einen Kommentar, riss mir die Socken einfach von den Füßen und warf sie den Stiefeln hinterher. »So wird mir kalt«, wandte ich ein.
»Ich beschaffe dir etwas Passenderes«, versprach Mircea und nahm meine Füße in seinen Schoß.
Er hatte sein Hemd noch nicht zugeknöpft, und wenn er sich bewegte, stellte der Feuerschein erstaunliche Dinge mit seinen Brustmuskeln an. Er begann damit, mir die Fußrücken zu reiben, und es fühlte sich so gut an, dass ich den Blick abwenden musste. Das war ein Fehler, denn es zeigte ihm, dass er Wirkung erzielte. Aber als Alternative kam nur Aufstehen infrage, und das wäre ein noch deutlicherer Hinweis gewesen.
»Wie bist du herausgekommen?«
»Heraus aus was?«
»Aus der Stadt.«
»Mit Horatius Hilfe«, sagte Mircea und fuhr damit fort, meine Füße zu massieren. Er hatte unglaubliche Hände – lang, schmal und geschickt –, und die Wärme seiner Berührungen durch den Filter der Seidenstrümpfe war mehr als nur ein bisschen beunruhigend.
»Ich nehme an, damals war er jünger.«
»Um ziemlich viele Jahre. Meine Familie hatte den Thron nie ganz fest unter Kontrolle gehabt, und uns war schon als Kindern beigebracht worden, jederzeit zur Flucht bereit zu sein. Horatiu holte mein Notgeld, Kleidung und ein Pferd, und er versteckte mich bis zum Einbruch der Nacht. Ich wollte mich gerade auf den Weg machen, als er zu mir geritten kam und darauf bestand, mich wenigstens bis zur Grenze zu begleiten. Ich versuchte, ihn davon abzubringen, aber er war so dickköpfig wie immer. Zum Glück für mich. Allein hätte ich es in jenen ersten Monaten nicht geschafft. Auch mit seiner Hilfe wurde es manchmal sehr knapp.«
Ich griff nach seiner Hand, damit er mit meinen Füßen aufhörte und ich einen klaren Gedanken fassen konnte. »Gibt es etwas, das du heute anders machen würdest?«
Mircea ließ seine Hand in meiner liegen und hatte die andere um meine Fußknöchel geschlossen. »Damals glaubte ich, den einzig möglichen Weg zu beschreiten. Ich verließ die Stadt, bevor sie nach mir suchen konnten. Ich verließ sie mit der Absicht, stark genug zu werden, um gegen die Mörder meines Vaters zu kämpfen, sobald der politische Wind wieder aus einer anderen Richtung wehte. Aber ich brach zu schnell auf und ließ zu viele Dinge unerledigt zurück. Einige meiner Fehler habe ich später korrigiert. Andere hingegen …konnten nicht berichtigt werden.«
Das mochte stimmen, aber es war nicht das, was ich hören wollte. »Wenn du deinem anderen Selbst einen Rat geben könntest… Was würdest du ihm sagen?«
Mircea schwieg für einen langen Moment. »Ich würde ihm sagen: Wenn man etwas mehr wird, muss man oft etwas anderes aufgeben.«
»Das klingt nicht sehr hilfreich!«
»Vielleicht nicht, aber beim Überleben gibt es keine klaren Regeln. Ich
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