Für immer untot
töten, die an der Macht waren.«
Ich hatte die Geschichte von Mirceas Verwandlung vor langer Zeit gehört, aber es hatte nach einem großen Abenteuer geklungen. Jetzt hörte sie sich ganz anders an. Ich begann zu ahnen, dass die Version, die ich als Kind gehört hatte, sehr geschönt gewesen war.
»Zuerst brachten sie meinen Vater um. Er hatte mich auf einen unglückseligen Feldzug gegen die Türken geschickt, bei dem sich unsere Soldaten wacker schlugen, aber wir verloren den Krieg. Deshalb war ich nicht besonders beliebt bei den Adligen, die keinen Finger gerührt hatten, um mir bei dem Kampf zu helfen. Mich dabei zusehen zu lassen, wie sie meinen Vater ermordeten, sollte eine Art Vergeltung sein.«
Mircea zögerte und bearbeitete einen besonders hartnäckigen Fleck. »Sie skalpierten ihn«, fuhr er dann fort. »Das war ein Trick, den wir von den Türken gelernt hatten. Es ging darum, die Haut vom Gesicht der Opfer zu lösen, während sie noch lebten. Sie sollten leiden und gleichzeitig unkenntlich gemacht werden. Als sie fertig waren, stachen sie mir mit einem heißen Schürhaken die Augen aus – die schrecklich zugerichtete Leiche meines Vaters sollte das Letzte sein, was ich gesehen hatte. Und dann wurde ich lebendig begraben.«
»Mein Gott.«
»Ich lag da und hörte, wie Erde auf meinen Sarg fiel, und ich dachte: Das ist das Ende.« Mircea zog die gesäuberte Hose wieder an. »Ich wartete darauf, dass mir die Luft ausging. Ich wartete auf den Tod, das Jüngste Gericht, auf irgendetwas.
Aber Stunden vergingen, und nichts geschah. Abgesehen davon, dass meine Augen heilten und ich sehen konnte, obwohl es völlig dunkel war. Ich musste mich schließlich der Tatsache stellen, dass etwas… sehr Ungewöhnliches geschah.«
»Was hast du gemacht?«
Mircea hob und senkte die Schultern. »Ich habe mich ausgegraben. In der Nacht hatte es geregnet, die Erde war also weich. Sonst hätte ich es vielleicht nicht geschafft. Anschließend lag ich auf dem feuchten Boden, atmete Luft, die ich eigentlich gar nicht mehr brauchte, und überlegte, was ich tun sollte. Mir war klar geworden, ein Ungeheuer zu sein, aber ein sehr schwaches. Seit der Verwandlung hatte ich keine Nahrung bekommen, und mein Körper hatte nach dem Kampf und der Folterung erhebliche Reparaturarbeit leisten müssen. Ich wusste, dass ich in diesem Zustand nicht in der Lage war, es mit meinen Peinigern aufzunehmen.«
»Wie hast du überlebt?«, fragte ich rasch. Ich wollte wirklich Bescheid wissen.
Unsere Situationen waren nicht identisch, aber es gab so viele Parallelen, dass ich mir ein Quäntchen Weisheit erhoffte. Mircea hatte seiner neuen Identität als Vampir ebenso hilflos gegenübergestanden wie ich meiner als Pythia. Und doch war er irgendwie klargekommen.
Er kniff ein wenig die Augen zusammen, als er meinen Tonfall hörte, und ich zuckte innerlich zusammen. Ich war müde und achtete nicht so gut auf meine Stimme, wie ich sollte. Vermutlich hatte ich ihm gerade mehr über mich verraten, als mir lieb sein konnte.
»Mit Glück und rechtzeitiger Hilfe«, sagte Mircea nach kurzer Stille. »Meine Kleidung – abgesehen von der, die ich trug –, Geld und mein übriger Besitz befanden sich in Tärgovite, und dort wohnten viele der Adligen, die versucht hatten, mich zu töten. Ich musste riskieren, dorthin zurückzukehren, und wie es mein Pech wollte, sah mich einer der Mörder meines Vaters. Er begriff nicht, wie schwach ich war, und er wagte es nicht, mich allein anzugreifen. Aber er lief los und alarmierte die anderen.«
»Aber wenn sie dich lebendig begraben hatten… Wieso glaubten sie ihm?«
Wenn jemand behauptete, einen wandelnden Toten gesehen zu haben, fragten die meisten Leute, ob er zu viel getrunken hatte.
Mircea kam zu mir, bevor er antwortete. Ich saß nahe beim Feuer, in Reichweite gelegentlich fliegender Funken, die ganz und gar nicht nach dem Geschmack eines Vampirs waren, und deshalb besorgte es mich ein wenig, dass er mir am Kamin Gesellschaft leisten wollte. Außerdem beunruhigte mich sein lässiges Lächeln. »So spricht eine moderne Frau. Aber damals glaubten viele Leute an die alten Legenden über Nosferatu. Und sie wussten mit einem von uns fertig zu werden, wenn er es wagte, sich ihnen zu zeigen.«
Er nahm Platz, entspannte sich und grub die Zehen in den dicken Läufer. Sein Blick war auf den Saum meines Kleids gerichtet. Ich sah nach unten und stellte fest, dass die schmutzigen Spitzen von Pritkins Stiefeln unter der
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