Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)
zuklappen und wandte mich dann zum Kühlschrank. Vielleicht war Rasmus ja wegen der Hitze in seinem Apartment dazu übergegangen, die Schokoriegel dort aufzubewahren? Aber das weißliche Licht beschien nur einen Karton Milch, und als ich den Deckel abschraubte, schauderte ich von dem sauren Geruch. Angewidert stellte ich den Karton in die Spüle und überlegte gerade, ob ich ihn hier oder lieber über dem Klo auskippen sollte, da ließ mich ein Geräusch herumfahren.
Rasmus war mir nachgekommen. Er stand direkt hinter mir, eine Hand in der Hosentasche vergraben und die andere am Rand des Herds abgestützt. Seine Haltung wirkte entspannt, aber ich konnte sehen, dass seine Knöchel sich hell unter der Haut abzeichneten, so fest klammerte er sich an die Kante. Seine Augen waren sehr groß und dunkel, die Pupillen geweitet. Bewegungslos schaute er mich an, fast als fürchtete er sich vor meiner Reaktion.
„Rasmus“, sagte ich, „beantworte mir mal eine Frage. Wovon hast du dich in letzter Zeit ernährt?“
Er zögerte mit seiner Antwort, sodass eine Weile nur seine Atemzüge zu hören waren – schnell und ein bisschen rasselnd, wie bei meinem Vater, wenn er gerade von einer ausgiebigen Joggingrunde heimgekehrt war. Rasmus hatte jedoch nur wenige Meter zurückgelegt.
„Fina kann doch so viel verdrücken“, antwortete er endlich. „Sie hat allerdings auch immer die Einkäufe erledigt, weil ich … na ja, es nicht mehr so richtig geschafft habe. Und deswegen gab es eben nicht viel, seitdem sie ausgezogen ist. – Aber das ist egal“, fügte er schnell hinzu. „Ich bringe in letzter Zeit sowieso nichts herunter.“
„Was soll das heißen? Seit wie vielen Tagen hast du denn nichts mehr gegessen?“
Er wich meinem Blick aus. „Ein paar.“
Und dann, eigentlich viel zu spät, begriff ich. Sein dicker Pullover, die Heizung und dass er so lange gebraucht hatte, um an die Tür zu kommen … Wie er bei meiner Umarmung zusammenzuckte, als würde ihm jeder Körperkontakt Schmerzen bereiten.
„Dir geht es wieder schlechter, oder?“ Es kam eher wie eine Feststellung heraus als wie eine Frage und klang merkwürdig nüchtern. Obwohl ich in diesem Moment so vieles hätte empfinden müssen, spürte ich nur eine bleierne Ruhe. So, als könnten meine Emotionen gar nicht mehr richtig folgen.
Rasmus machte eine Bewegung, die als Kopfschütteln begann und als Schulterzucken endete. Es war ihm anzusehen, wie sehr er mit sich rang. „Lily, ich hab dir doch versprochen, dass ich dir Bescheid gebe, wenn ich mich echt mies fühle“, sagte er widerstrebend. „Also, ich glaube … möglicherweise sollte ich wieder ins Krankenhaus gehen, nur für kurze Zeit. Das – das wär vielleicht ganz gut.“
Auf einmal wirkte das feine Summen des Kühlschranks unerträglich laut. Ich starrte Rasmus an und bemerkte kaum, dass ich meine Fäuste mehrmals öffnete und schloss, wie um etwas festzuhalten, das mir längst entglitten war. Gleichzeitig schienen Serafinas Worte aus jener Nacht im Hotel durch meinen Kopf zu rotieren: dass mir niemand einen gewissen Egoismus übelnehmen würde, was Rasmus und sein irdisches Dasein betraf. Dass sie es verstehen könne, wenn ich ihn unbedingt an einer Heimkehr hindern wollte. Mit eisiger Klarheit wurde mir bewusst, dass es nun aufgehört hatte, bloß egoistisch zu sein, und zur Grausamkeit wurde.
Roboterartig schüttelte ich den Kopf. „Nein, das kannst du nicht machen.“
Rasmus‘ Gesicht hellte sich ein bisschen auf, und ich ahnte gleich, dass er mich falsch verstanden hatte. „Stimmt, wir haben zu viel zu tun, als dass ich mich ins Krankenhaus verkrümeln könnte. Ich will da sowieso nicht hin. Das wird sicher bald wieder vorbeigehen, ist nur so eine Phase.“
„Eine Phase, die von den Richtern ausgelöst wurde“, ergänzte ich beinahe kalt. „Dafür, dass sie dich jetzt noch stärker unter Druck setzen, gibt es bestimmt einen guten Grund. Wahrscheinlich hat der Abaddon einen neuen Vorstoß gewagt, und deswegen verkürzen sie deine Bedenkzeit.“
„Was willst du damit sagen?“, fragte Rasmus. Unauffällig tastete er dabei hinter sich, um sich auch mit der zweiten Hand am Herd abzustützen. Als er bemerkte, dass es mir nicht entgangen war, zog er die Arme hoch und verschränkte sie vor der Brust. Krampfhaft hinderte ich mich daran, nach unten zu sehen. Ich wollte nicht wissen, ob seine Beine zitterten.
„Damit meine ich, dass die Richter nun jederzeit auftauchen könnten, um dich
Weitere Kostenlose Bücher