Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)
war ich in Sorge gewesen, den Raum nach meiner langen Abwesenheit komplett verändert vorzufinden, doch das Bett war zerwühlt wie eh und je, und ringsherum stapelten sich Bücher. Der einzige Unterschied war die Hitze, die in dem Zimmer herrschte. Rasmus musste vergessen haben, die Heizung abzuschalten, oder sie war kaputt. Aber darum würde ich mich später kümmern.
Ich stellte das Tablett auf dem Couchtisch ab und drehte mich dann zu Rasmus um, der sich immer noch auf halbem Weg zwischen der Eingangstür und mir befand. Ich konnte mir sein Zögern nur so erklären, dass er nach unserem Streit in meiner Gegenwart ein wenig befangen war. Normalerweise hätte mich das ebenfalls in Verlegenheit gestürzt, aber vor Erleichterung fühlte ich mich beschwingt und zugleich geborgen, so als könnte nun nichts mehr schiefgehen. Ich legte die paar Meter Distanz zwischen uns mit fast hüpfenden Schritten zurück und warf ihm die Arme um den Hals. Mein Ansturm kam wohl etwas unerwartet, denn er zuckte zusammen.
„Es tut mir alles so leid“, nuschelte ich in seine Halsbeuge. Die bloße Haut über dem Kragen seines dicken Sweaters brannte mit meinen Wangen um die Wette. „Ich hätte dich erst gar nicht wegen Serafina belügen sollen – oder wenigstens die Wahrheit höflicher verpacken müssen. Außerdem wollte ich sie nicht vertreiben, jedenfalls nicht auf diese Weise.“
„Ist schon gut.“ Er erwiderte den Druck, sodass ich ihn an der ganzen Länge meines Körpers spüren konnte. Zwischen uns hätte kein Blatt Papier mehr gepasst, und trotzdem war mir die Umarmung noch nicht eng genug. Jetzt, da ich ihm wieder so nahe war, merkte ich erst richtig, wie sehr ich ihn vermisst hatte. Einige Sekunden lang atmete ich nur den Duft an seinem Hals ein, dann hob ich den Kopf und stellte mich auf die Zehenspitzen. Rasmus kam mir sofort entgegen. Unsere Lippen berührten sich, schoben sich ganz weich ineinander. Ein Versöhnungskuss. Und noch einer und noch einer. Ich spürte, wie Rasmus seine Hände an meinem Rücken zu Fäusten ballte – ihm ging es offenbar so wie mir, er konnte nicht mehr loslassen, und dieses Wissen schwemmte meine übriggebliebenen Sorgen fort. Minutenlang hielten wir uns aneinander fest, bis ein Piepen aus Rasmus‘ Hosentasche drang. Wir gaben beide unser Bestes, es zu ignorieren, aber irgendwann war es nicht mehr auszuhalten. Mit einem Seufzen löste sich Rasmus von mir, zog das Handy heraus und drückte schnell auf einen Knopf.
„Was war das?“, fragte ich. Am liebsten hätte ich es danach ungeschehen gemacht – wenn er jetzt Fina sagte, würde sich die Erinnerung an unseren Streit wieder zwischen uns drängen.
Zum Glück schob er das Handy aber gleichgültig in seine Tasche zurück. „Nur mein Wecker.“
„Du hast dir jetzt den Wecker gestellt, Schlafmütze?“ Ich schaute zum Fenster, vor dem die Nachmittagssonne bereits einen goldenen Ton angenommen hatte. „Das geht ja nicht mal mehr als Mittagsschläfchen durch!“
Rasmus antwortete nicht auf mein Necken, er hob nur ein bisschen die Schultern. Die Atmosphäre zwischen uns schien immer noch etwas angespannter zu sein als sonst, aber ich war fest entschlossen, jede negative Stimmung zu vertreiben. Ich ließ mich aufs Sofa plumpsen und klopfte mit der flachen Hand neben mich, damit Rasmus dort Platz nahm. „Heute läuft Herr der Ringe im Fernsehen. Jinxy hat dazu ein Spiel erfunden, bei dem man jedes Mal trinken muss, wenn schmutzige, abgekaute Fingernägel gezeigt werden“, plapperte ich. „Das könnten wir auch machen, allerdings mit Kuchen.“
Rasmus rieb sich den Nacken. „Lily, hör mal …“
Grinsend sprang ich wieder vom Sofa hoch. „Okay, okay, schon verstanden. Du musst diesen metaphorischen Kuchen nicht essen, obwohl er ganz bestimmt besser schmeckt, als er aussieht. Ich hole uns was anderes, ja?“
„Du kannst mal nachschauen“, hörte ich ihn hinter mir, während ich um die Ecke in seine Kochnische ging. „Aber ich weiß nicht, ob ich was da hab.“
Ich lachte auf – seit Rasmus hier wohnte, war der Küchenschrank stets mit Süßigkeiten und Chips vollgestopft gewesen. Man musste sich sogar in Acht nehmen, dass sich der Inhalt beim Öffnen nicht über einen ergoss. Entsprechend vorsichtig zog ich also am Griff der Schranktür, bis mir klarwurde, dass keinerlei Gefahr bestand. Tatsächlich herrschte in den Fächern bis auf ein Paket Mehl und einen Salzstreuer gähnende Leere. Verwirrt ließ ich die Tür wieder
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