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Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)

Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)

Titel: Für immer zwischen Schatten und Licht ("Schatten und Licht"-Saga 2) (German Edition)
Autoren: Kira Gembri
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kannst!“
    Abermals begann ich zu zählen, und noch bevor ich damit fertig war, rannten meine Beine wie von selbst los. An der Kante der Türöffnung stieß ich mich ab, schleuderte meinen Körper mit ausgestreckten Armen in die Schwärze hinein. Der Zusammenprall mit den Seilen machte meine Hände für den Bruchteil einer Sekunde taub. Meine Finger schlossen sich zu spät um die ölbedeckten Stränge, schon zog mich mein Gewicht nach unten. Wieder erklang dieses schleifende Geräusch, als ich abwärtsglitt. Jeden Augenblick mussten meine Füße auf Rasmus treffen, und wir würden beide den Halt verlieren! In Todesangst gelang es mir, meine Beine um das Seil zu schlingen und es zwischen meinen Waden festzuklemmen. Immer noch rutschte mir das schmierige Material durch die Finger, ich ballte meine bandagierten Hände mit aller Kraft zu Fäusten … und bremste ab.
    Einige Atemzüge lang rührte ich mich überhaupt nicht mehr. Ich ließ den Sauerstoff durch meine Lunge strömen, schloss die Augen und versank in dem Gefühl, einfach nur am Leben zu sein. Erst als meine Arme mit einem unangenehmen Brennen auf die Belastung reagierten, fand ich in die Realität zurück. Mit vorgerecktem Kopf spähte ich an meinen Beinen vorbei nach unten. Obwohl ich so weit abgestürzt war, befand sich Rasmus‘ Silhouette noch ein ganzes Stück tiefer. Er musste vorsorglich weitergeklettert sein, damit wir nicht kollidierten.
    „Lily?“
    „Hier“, krächzte ich.
    Rasmus‘ langgezogener Seufzer tönte bis zu mir herauf. „Gott sei Dank. Ich schwöre, ich hatte gerade mindestens einen Herzinfarkt.“ Zwischen meinen Fingern wackelte es kurz, dann setzte er hinzu: „Ich habe auf die Seile ganz rechts umgegriffen. Bleib du links, damit wir uns nicht gegenseitig stören, okay? Und jetzt schön vorsichtig.“
    Ich nickte mehrmals, nur für mich, weil er das natürlich nicht sehen konnte. Behutsam ließ ich eine Hand nach unten wandern und schob meinen restlichen Körper nach. Nur einen Zentimeter, und dann noch einen. Rasmus sagte irgendetwas, aber ich verstand kein Wort; es genügte schon, dass ich seinen aufmunternden Tonfall hörte. Trotzdem verflog mein Hochgefühl ebenso schnell, wie es gekommen war: Bereits zwei Etagen tiefer schien sich jeder einzelne meiner Muskeln gegen die Überbeanspruchung zu wehren. Der Schmerz war bald so schlimm, dass mir Tränen in die Augen schossen. Verbissen kletterte ich weiter, während sich die Bandagen um meine Hände zunehmend mit Öl bedeckten und für immer weniger Reibung sorgten.
    Wieder rief Rasmus meinen Namen, als wollte er sichergehen, dass ich noch da war, aber diesmal schaffte ich es nicht, zu antworten. Vor wenigen Minuten hatten wir uns noch über unser Déjà-vu lustig gemacht, aber jetzt war ich dank der Erinnerung an den Steinbruch nicht mehr weit davon entfernt, komplett durchzudrehen. Schon einmal war ich so zwischen Himmel und Erde gefangen gewesen, mit immer schwächer werdenden Armen und einem schwarzen Abgrund unter mir. Genau wie damals würde es jetzt genügen, wenn ich nur kurz die Kontrolle verlor, und alles wäre vorbei.
    „Hey, lass mich nicht so hängen “, witzelte Rasmus etwas hilflos. „Wir haben schon mehr als die Hälfte geschafft! Wenn du das hinkriegst, kann Coach Svensson nie mehr behaupten, dass …“ Mitten im Satz verstummte er.
    Ich hielt ängstlich nach dem zuckenden Licht unter mir Ausschau, aber es war immer noch an derselben Stelle. Schließlich fragte Rasmus unvermittelt: „Hältst du dich gerade mit einer Hand am selben Seil fest wie ich?“
    „Nein, wieso?“
    „Weil ich dein Zittern bis hier unten spüren kann.“
    „Aber ich hab wirklich nicht …“ Dann stockte ich, weil ich es ebenfalls spürte: Ein feines Vibrieren lief durch das Seil und übertrug sich auf meine Finger. Plötzlich gab es einen Ruck, und mein erster Impuls war, mich einfach noch fester zu klammern. Viel zu langsam begann ich zu begreifen:
    Die Seile mit dem Gegengewicht fuhren nach oben –
    „Der Fahrstuhl kommt!“ Rasmus‘ Schrei zerriss die Stille. Gleich darauf hörte ich einen dumpfen Schlag, und ich konnte nur denken: Er ist gefallen. Oh, lieber Gott, lass ihn nicht gefallen sein! Als ich den Halt verlor und trotz der Aufwärtsbewegung des Seils hinabschlitterte, erkannte ich jedoch, dass der Schachtboden gar nicht so weit entfernt war. Rasmus stand unten und rief mir mit vor Panik verzerrter Stimme zu:
    „Lily, spring! Lass jetzt los, um Himmels
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