Fuer immer zwischen Schatten und Licht
ergänzte ich tonlos.
Sam senkte bestätigend den Blick. „Und genau die dürfen wir nicht um Rat fragen. Dabei kann der Text nur für sie bestimmt sein, sonst hätte der Verfasser nicht diese ausgestorbene Schrift gewählt!“
„Aber – aber warum zum Teufel bemerkst du das erst jetzt? Hast du das Buch in der Bibliothek nicht wenigstens mal aufgeschlagen?!“
„Wieso sollte ich?“ Sam schnappte sich das Buch und hieb mit der Handkante gegen den Rücken, wo eine Nummer angebracht war. „Es hatte die richtige Signatur, also hab ich es mir gekrallt und bin abgehauen! Ich hätte es sowieso nicht an Ort und Stelle lesen können, warum also hineinschauen?“
„Einfach … weil …“, stammelte ich und wusste nicht weiter. Sam war ganz offensichtlich kein Büchermensch, sonst hätte ich ihm gar nicht erst zu erklären brauchen, weshalb man als Leseratte immer wenigstens ein paar Zeilen eines Werks überfliegt, bevor man es mitnimmt. Während ich nach einer halbwegs einleuchtenden Begründung suchte, fiel mir auf einmal etwas anderes ein. „Serafina hat es sich doch kurz angesehen! Und sie hat überhaupt nichts gesagt!“
„Na und? Wahrscheinlich dachte sie, dass nicht der gesamte Text in der alten Schrift gehalten ist. Es hätte ja genauso gut eine zweisprachige Ausgabe sein können!“
Ich schluckte meine Erwiderung in letzter Sekunde herunter, aber in meinem Inneren nagte ein Verdacht wie ein Wurm, der sich durch meine Eingeweide arbeitete. Hatte Serafina etwa verschwiegen, dass das Buch unleserlich war, um Sam und mich loszuwerden? Nun saß sie gemütlich in Rasmus‘ Apartment, während wir uns hier die Köpfe über irgendwelche seltsamen Ornamente zerbrachen … Der Gedanke war so quälend, dass ich ihn schnell beiseiteschob. Das brachte uns auch nicht weiter, und Eifersucht war die dümmste und hässlichste Emotion überhaupt, wie man ja aus Shakespeares Othello wusste. Anstatt also noch länger auf diesem Verdacht herumzureiten, ließ ich entmutigt das Gesicht in meine Hände fallen und drückte die Finger gegen meine geschlossenen Augen. „Das bedeutet, dass unsere Himmelsexpedition absolut sinnlos gewesen ist!“
„Wenn Raziel das erfährt, rastet er aus“, stöhnte Sam.
Ich nahm die Hände vom Gesicht und schaute ihn ungläubig an. „Ist das alles, was dir dazu einfällt? Was ist damit, dass Rasmus immer mehr leiden muss, bis die Richter hier aufkreuzen und ihn zu einer Heimkehr zwingen? Oder damit, dass der Abaddon ungestört weiter seine Kräfte sammeln kann, um die Mauern komplett niederzureißen?“ Meine Stimme kippte, und Sam schaltete sich schnell dazwischen.
„Ich weiß, Lily“, sagte er. „Mir ist durchaus bewusst, wie beschissen unsere Lage ist, klar? Uns bleibt nur zu hoffen, dass …“
Er brach ab, und im nächsten Moment hörte ich es auch: Schritte auf der Vordertreppe, ein Rumoren an der Tür.
„Rasmus und Serafina?“, hauchte ich.
Sam lauschte, die Lippen zusammengepresst; dann schüttelte er den Kopf. „Es ist nur eine Person, das kann ich hören.“
Wir sahen einander stumm an, und Sams Gesicht spiegelte mein Entsetzen. Beim Klingeln der Türglocke schnellte er hoch, woraufhin ich gerade noch seinen Ellenbogen zu fassen bekam. „Was hast du denn vor, willst du etwa öffnen? Bist du komplett wahnsinnig geworden?!“
„Und was soll den Typen daran hindern, so wie der letzte Dämon durchs Fenster einzubrechen?“, fragte er flüsternd. „Angriff ist die beste Verteidigung. Komm mit!“
Obwohl ich mich sträubte, zog er mich aus dem Wohnzimmer und gab erst im Flur meine Hand frei. Hastig streifte er sich sein T-Shirt über den Kopf und ließ es zu Boden fallen. Danach holte er das Klappmesser hervor, das er für unseren Ausflug in die Lichtwelt eingesteckt hatte. Er brachte es geschickt zum Aufschnappen und hielt es mir hin.
„Na los, nimm“, zischte er, als ich ihn bloß anstarrte. „Sobald ich die Tür geöffnet habe, stichst du zu, und dann machen wir es genau wie beim letzten Mal, alles klar?“
Noch ehe ich etwas sagen konnte, setzte er sich wieder in Bewegung und schlich den Flur entlang. Ich folgte ihm mit wackligen Knien, die Augen auf seinen Rücken geheftet, dessen Narben mir heller erschienen als ein paar Tage zuvor. Meine Sicht verschwamm, und das Messer begann, in meiner schweißnassen Hand zu verrutschen.
Einen Schritt von der Haustür entfernt blieb Sam stehen. Zeitlupenartig streckte er den Arm in Richtung Klinke, während er sich halb
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