Fuer immer zwischen Schatten und Licht
Anahita?“
Sam und Rasmus lachten beide auf, und sie zwinkerte mit ihren blauen Manga-Augen. Na schön, dann hatten sie also gemeinsame Insiderscherze. Da konnte ich auf jeden Fall mithalten.
„Ich bin auch total hungrig“, log ich und wandte mich dann verschwörerisch an Rasmus. „Erinnerst du dich noch an damals, als du zum ersten Mal bei mir zu Hause warst? – Man kann nicht gut denken …“
Rasmus machte ein erstauntes Gesicht, während Sam im Hintergrund hüstelte.
„… gut lieben“, fuhr ich fort, und mir brach der Schweiß aus. Nun sahen mich alle an, als wäre ich total bekloppt.
„… gut schlafen, wenn man nicht gut gegessen hat“, vollendete ich schwach den Satz. „Virginia Woolf, weißt du nicht mehr?“
„Oh, stimmt“, sagte Rasmus freundlich.
Ich zwang mich zu einem Grinsen und öffnete dann schnell die Tür, um noch vor allen anderen auf den Krankenhausflur zu eilen.
Damit stand es also fest – gelungene Insider-Scherze: eins zu null für Serafina.
***
Während der gesamten Heimfahrt fühlte ich mich, als säße ich unter einer Käseglocke. Sams Gerede und die Musik aus dem Autoradio vermengten sich zu einer dumpfen Geräuschkulisse, und die Häuser huschten vorbei, ohne dass ich sie richtig sah. Offenbar hatte ich in den vergangenen paar Stunden einfach zu viel erlebt, und meine Wahrnehmung schaltete jetzt auf Durchzug. Vor mich hinbrütend wartete ich darauf, dass der Wagen vor meinem Haus stoppte, und kletterte dann schwerfällig hinaus. Wie beim letzten Mal begleitete mich Sam, ohne mich zu fragen. Erst als er mein Stirnrunzeln bemerkte, verkündete er: „Wir haben Hausaufgaben, schon vergessen?“, und klopfte sich auf den Hintern, womit er hoffentlich das Buch in seiner Gesäßtasche meinte.
„Na schön“, sagte ich gähnend. Die Wirkung des Kaffees begann abzuklingen, und ich spürte die schlaflose Nacht, auch wenn ich sie durch unseren Ausflug ins Licht verkürzt erlebt hatte. Anstatt mich auf eine Diskussion mit Sam einzulassen, schlurfte ich in den Flur und von dort ins Wohnzimmer. Mit einem erleichterten Seufzen kickte ich mir die High Heels von den Füßen, bevor ich mich aufs Sofa plumpsen ließ. Meine Lider waren so schwer, dass sie gegen meinen Willen zufielen. Ich kuschelte den Kopf an die Sofalehne und driftete immer weiter ab, bis ich ein hektisches Rascheln hörte. Dann ertönte ein Fluch.
Leise murrend schaute ich zu Sam, der mir gegenüber Platz genommen hatte. „Ist was?“
Seine Haare standen in alle Richtungen ab, als hätte er sie soeben gerauft. Stumm klappte er das Buch zu, das vor ihm auf dem Tisch gelegen hatte, und hielt es mir hin. Obwohl es bestimmt uralt war, konnte ich keinerlei Abnutzungserscheinungen erkennen. Seine Seiten klebten sogar noch ein bisschen aneinander, als wäre es nie zuvor gelesen worden. Voller Erwartungen schlug ich es auf und betrachtete die schwarzen Ornamente, mit denen es gefüllt war. Sie erinnerten mich an die Runen, die ich einmal auf einer Steintafel im Museum gesehen hatte.
„Das kann ich doch nicht lesen“, sagte ich achselzuckend und legte das Buch auf den Tisch zurück. „Ist das Engli…, äh, eine Engelssprache?“
Immer noch glotzte Sam mich an, als befände er sich mitten in einem wahrgewordenen Alptraum. Zweimal öffnete er den Mund, ohne auch nur einen Ton herauszubringen, dann schüttelte er heftig den Kopf. „Ich kann das auch nicht lesen“, stieß er hervor.
Mit einem müden Lächeln bettete ich meinen Kopf wieder auf die Sofalehne. „Haha, sehr witzig. Jetzt streng dich ein bisschen an und weck mich, sobald du was Interessantes gefunden hast.“
Erschrocken fuhr ich hoch, als Sam sich über den Couchtisch beugte und mich am Arm packte. „Nein, das ist mein Ernst. Ich kann kein einziges von diesen verdammten Zeichen entziffern!“
Seine Augen waren weit aufgerissen, das Gesicht verzerrt, und seine Stimmung schwappte bereits auf mich über. „Was soll das heißen, du kannst das nicht entziffern?“, wiederholte ich angespannt. „Das ist doch eine Sprache der Lichtwesen, oder etwa nicht? Also, was soll der Unsinn?“
„Lily, diese Schrift ist älter, als du dir überhaupt vorstellen kannst! Sie wurde benutzt, noch bevor es zum Krieg und anschließend zu den Friedensverhandlungen mit den Dämonenfürsten kam. Den Lichtwesen, die danach geschaffen wurden, hat man sie gar nicht mehr beigebracht, also sind die Einzigen, die sie noch lesen können …“
„… die Richter“,
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