Für jede Lösung ein Problem
werden. Überall und jederzeit erreichbar sein – das ist doch fürchterlich. Und diese SOS-Schreiberei. Selbst Habakuk und Arsenius fangen schon damit an.«
Ich seufzte. »Ole, ich muss Schluss machen, wir sehen uns ja am Samstag bei Caroline und Bert.« Ich legte das Handy wieder in meine Handtasche zurück.
»Endlich! Hast du passende Schuhe?«, fragte meine Mutter. »Schlichte schwarze mit einem kleinen Absatz wären gut. Deine Haare sehen ausnahmsweise mal ganz ordentlich aus, muss ich sagen. Wenn du sie schön über die Rundbürste föhnst, wird es schon gehen. Und wenn dich jemand fragt, wo du im Augenblick wohnst, dann sag bitte nicht, dass du bei der schrecklichen Charlotte wohnst, du weißt ja, was sie dann alle denken … – und Charly hat diese Tätowierung am Arm …«
»Mama! Niemand kann sich was dabei denken, dass ich vorübergehend bei meiner verheirateten, schwangeren Freundin und ihrem Mann wohne.«
»Ha, da kennst du die Leute aber schlecht«, sagte meine Mutter. »Weißt du, der schmutzigen Fantasie der Menschen sind leider keine Grenzen gesetzt. Unbestätigten Gerüchten zufolge soll zwischen deiner Cousine Diana und dem Börsenmakler alles aus sein. Aber, wie gesagt, diese Gerüchte konnten bis jetzt nicht bestätigt werden.« Meine Mutter seufzte. »Stell dich lieber darauf ein, morgen Abend die Einzige ohne Begleitung zu sein. Ich bin froh, dass wenigstens Rigelulu diesmal nicht allein kommen muss. Alexa platzt vor Neid, weil Patrick Akademiker ist, wo doch ihre Claudia nur einen Beamten mittlerer Laufbahn erwischt hat. Als ich ihr gesagt habe, wie viel man als Eiti verdienen kann, ist sie ganz blass geworden.«
»Was ist eigentlich besser: ein Eiti oder ein Zahnarzt?«, fragte ich nachdenklich.
»Dumme Frage, ein Zahnarzt natürlich«, sagte meine Mutter. »Da weiß wenigstens jeder, worüber man redet. Aber die sind wirklich schwer zu kriegen. Man muss auch realistisch bleiben.«
Ich konnte nicht verhindern, dass meine Gedanken abschweiften: Ich stellte mir vor, wie ich im schwarzen Porsche Carrera beim Hotel vorfuhr und wie Ole und ich gemeinsam über den roten Teppich schritten. Meinen Tanten und Großtanten würden bei seinemprächtigen Anblick die Kinnladen herunterklappen, und wenn sie dann auch noch hörten, dass er Zahnarzt war, würden ihre Gebisse vor lauter Schreck zu klappern anfangen, und meine Mutter würde vor Stolz auf mich sogar vergessen, wegen des roten Kleides zu meckern …
»Und mach dir die Fingernägel«, sagte meine Mutter. »Sag mal, knibbelst du etwa immer noch an der Nagelhaut herum? Du weißt doch, dass man das nicht machen soll!«
»Mama, ich knibble wo und wann ich will, und ich werde diesen langweiligen Hosenanzug nicht anziehen!«, wollte ich sagen und meiner Mutter dabei fest in die Augen schauen. Aber ich schaffte es einfach nicht.
Zu Hause bei Charly hätte ich mir deswegen vor Wut in den Hintern beißen können.
»Ich muss es doch einmal schaffen, ihr etwas entgegenzusetzen«, jammerte ich. »Aber wenn sie so vor mir steht, bringe ich es nicht fertig. Wahrscheinlich werde ich mich morgen in diesem beigefarbenen Ding totschwitzen.«
»Hey, wo ist denn die kleine Revoluzzerin hin?«, sagte Charly. »Die Gerri, die diese aufwühlenden Abschiedsbriefe verschickt hat? Die Gerri, die den schönsten Zahnarzt der Stadt mit ihrem Charme erobert hat und ihn am ausgestreckten Arm verhungern lässt? Die Gerri, die knallhart mit der Vampirromanbranche aufgeräumt hat? Die Gerri, die als Erstes das Schloss in ihrer neuen Wohnung hat auswechseln lassen!«
»Du meinst die Gerri, die morgen eiskalt in einem roten Kleid auf Tante Alexas Silberhochzeit erscheinen wird?«
»Ja, genau die«, sagte Charly. »Hol sie sofort her, und schick diese Memmen-Gerri hier in die Wüste. Kopf hoch! Bauch rein! Brust raus! Fäuste hoch!«
»Okay«, sagte ich, griff nach dem Telefon und ließ meiner Mutter kaum Zeit, sich vollständig zu melden: »Mama, ich danke dir sehr für deine Hilfe, aber ich werde doch das rote Kleid anziehen.«
»Sei nicht albern, Rigelu«, sagte meine Mutter. »Morgen früh liefernsie den Hosenanzug in der kleineren Größe, ich schicke deinen Vater mit dem guten Stück vorbei.«
»Aber ich …«
»Es ist ein Geschenk von mir, nein, nein, du musst dich nicht bedanken, dafür sind Mütter doch da. Oh, da klingelt es auf der anderen Leitung, es ist sicher Evelyn, sie hat doch tatsächlich hinter meinem Rücken versucht, mit deinem Vater über
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