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Für jede Lösung ein Problem

Für jede Lösung ein Problem

Titel: Für jede Lösung ein Problem Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Gier
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ich wirklich gut konnte – warum sollte ich also weiter studieren?
    Es war allerdings kein leichter Job.
    Aurora verlegte Heftromane und Taschenbücher in den Bereichen Comic, Sience fiction, Action und Crime, Mystery, Western und Romantik. Die Romantikrubrik war unterteilt in Heimat, Arzt, Adel, Nanette und Norina, und auch in den anderen Bereichen gab es unzählige Unterrubriken. Die meisten Leute taten so, als ob sie noch nie etwas von Aurora gehört hätten. Aber das war immer gelogen. Irgendetwas von Aurora kannte jeder.
    Ich schrieb zweimal im Jahr einen Roman für die Serie Parkklinik Dr. Ohlsen , ansonsten konzentrierte ich mich ganz auf die Norina-Romane. Darin ging es so ähnlich zu wie in den Arztromanen, nur dass die Protagonisten hier auch Berufe außerhalb des medizinischen Sektors haben durften.
    Mit dem Schreiben von Heftromanen konnte niemand reich werden, auch wenn immer mal wieder derartige Gerüchte durch die Branche geisterten. Ich musste zwei Romane im Monat schreiben,um meine (sehr bescheidenen) Kosten zu decken. Das bedeutete, alle zwei Wochen hatte ich einen Abgabetermin, der nicht nach hinten verschoben werden konnte. Meistens schrieb ich die letzten achtundvierzig Stunden Tag und Nacht durch. Der Verlag ließ keine Entschuldigung gelten, keine Krankheit, kein privates Problem konnte wichtiger sein als die fristgerechte Abgabe eines Manuskriptes. Ich war nicht mal sicher, ob sie »Tod« als Entschuldigung akzeptieren würden. Jede Woche konnte man einen neuen Norina-Roman am Kiosk kaufen, der Nachschub musste unerbittlich und lückenlos abgeliefert werden. Ich wusste nicht, wie viele andere Autoren für die Norina-Reihe arbeiteten, aber so viele konnten es nicht sein, denn inzwischen war fast jeder zweite Norina-Roman von mir. Darauf war ich sehr stolz.
    Zwischen Norina- und Nanette-Romanen gab es nur einen Unterschied: Norina war jugendfrei, Nanette nicht. Oder beispielhafter erklärt: Bei Norina durfte der Mann nach einigen Missverständnissen das schüchtern gesenkte Kinn der Frau mit dem Finger sanft nach oben drücken, bis sie ihm in die Augen schauen musste, in welchen er ihre Liebe zu ihm leuchten sah. Damit war die Geschichte bei Norina zu Ende.
    Bei Nanette zog der Mann die Frau in der gleichen Situation leidenschaftlich an sich, sodass sie seine pochende Männlichkeit an ihrem Schenkel spürte und vor Erregung zu beben begann. Und hier war die Geschichte noch nicht zu Ende, sondern ging erst richtig los.
    Ich lebte bereits seit zehn Jahren vom Schreiben, und es machte mir immer noch Spaß. Alle zwei Wochen, wenn ich das fertige Manuskript ausdruckte und in einen Umschlag steckte, überkam mich dasselbe Glücksgefühl, das ich damals bei Kinderkrankenschwester Angela empfunden hatte, das Gefühl, die Welt wieder gerade gerückt zu haben, wenigstens im Roman. Dort gab es keine Männer wie hammerhart31 und meisenfreund007 . Die Männer in meinen Heften hatten breite Schultern, gute Manieren und redeten nicht über ihr Werkzeug. Selbst die Schurken hatten noch das gewisse Etwas. Unddreißigjährige Singlefrauen gab es auch nicht. Ich brachte sie alle vor ihrem dreißigsten Geburtstag unter die Haube.
    Eine Arbeitspause gönnte ich mir nie: Bevor ich mich an den nächsten Roman machte, musste ich mich zunächst um das Exposé für den übernächsten Roman kümmern. Wenn man vom Schreiben leben wollte, musste man gut organisiert sein, und das war ich. Noch nie in den ganzen zehn Jahren war mein perfekt durchdachter Arbeitsablauf durcheinander gekommen: Selbst im Urlaub schrieb ich weiter, für diesen Zweck hatte ich extra das Notebook angeschafft. Jetzt würde ich mich doch nicht von ein paar läppischen Selbstmordgedanken von der Arbeit abhalten lassen!
    Mit einem energischen Doppelklick trennte ich die Verbindung zum Internet und atmete tief durch. Alles nur halb so schlimm. Mein Wunsch zu sterben war sicher nur eine Art Schockreaktion auf Charlys Neuigkeit. In ein paar Tagen würde ich vielleicht sogar Verständnis für mich selber aufbringen. Und bis dahin würde ich einfach das tun, was ich am liebsten tat: arbeiten.
    Mein aktuelles Exposé hieß »Leas Weg. Eine Frau überwindet ihre tödliche Krankheit und findet die Liebe« , und meine Nerven beruhigten sich zusehends, während ich mir Leas Weg von der Leukämie-Station bis in die starken Arme des anonymen Knochenmarkspenders noch einmal durchlas und nur hier und da ein Wort änderte.
    In der Wohnung unter mir besang Xavier

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