Für jede Lösung ein Problem
Thaler wieder gegangen?«, fragte sie die Empfangsdame.
»Da steht sie doch«, sagte die Empfangsdame.
Lakritze sah mich verblüfft an.
»Hallo«, sagte ich und streckte ihr meine Hand entgegen. »Schön, Sie mal kennen zu lernen.«
Lakritze nahm meine Hand nur zögerlich. »Ist Gerri verhindert?«
Ich versuchte zu lachen, aber es gelang mir nur ein Räuspern. »Haben Sie – jemand anderen erwartet?«
»Japahaps«, machte Lakritze und musterte mich mit zusammengekniffenen Augen von oben bis unten. »Also, ich … – Wie alt sind Sie denn, um Himmels willen?«
»Dreißig«, sagte ich ein wenig bitter. Die Zahl kam immer schlecht über meine Lippen. Warum wollte sie das überhaupt wissen? Fand sie etwa, dass ich älter aussah? Ich hätte wohl besser nicht den schwarzen Pullover angezogen, auch wenn er aus Kaschmir war und das einzige Stück in meiner Garderobe, das elegant und lässig zugleich war.
»Dreißig«, wiederholte Lakritze. »Das heißt, als Sie hier angefangen haben, waren Sie noch ein halbes Kind.«
»Ich war volljährig«, sagte ich.
Lakritze starrte mich noch eine Weile kopfschüttelnd an. Schließlich sagte sie mit einem kleinen Lächeln: »Und ich dachte immer, Sie wären etwa in meinem Alter.«
»Es hat mich nie jemand nach meinem Alter gefragt«, sagte ich. Nach meiner Sozialversicherungsnummer und meiner Steuernummer und meiner Kontonummer, ja, aber nicht nach meinem Alter. Und wollte Lakritze etwa behaupten, dass meine Stimme, die sie all die Jahre oft genug am Telefon gehört hatte, wie die einer Mittfünfzigerin klang? Ich war ein wenig beleidigt. Wahrscheinlich lag es an meinem Namen, dass ich so ältlich daherkam. Ich war die einzige Gerda meiner Generation, darauf hätte ich jede Wette abgeschlossen. Danke, Mama!
»Hätte es irgendetwas geändert, wenn Sie mein Alter gekannt hätten?«
»Mein liebes Kind«, sagte Lakritze. »Hätte ich gewusst, dass Sie so jung sind, hätte ich Sie sicher dazu ermutigt, einen anständigen Be…« Sie verstummte und warf einen Blick hinüber zur Empfangsdame. »Kommen Sie, gehen wir hinauf.« Sie griff nach meinem Arm. »Zuerst in mein Büro, da können wir in Ruhe reden. Um elf erwartet uns dann Herr Adrian.«
»Steuerfahndung?«, fragte ich leise.
»Eher nicht«, sagte Lakritze und kicherte plötzlich. »Herr Adrian ist der neue Cheflektor. Ich kann es gar nicht erwarten, sein Gesicht zu sehen. Er glaubt nämlich, Sie seien eine Krankenschwester im Vorruhestand, der er die schlechte Nachricht schonend beibringen muss.«
»Welche schlechte Nachricht?«, fragte ich alarmiert. »Und warum Krankenschwester?«
»Viele unserer Autorinnen sind ehemalige Krankenschwestern. Das ist besonders bei den Arztromanen sehr hilfreich.« Lakritze sah wieder hinüber zur Empfangsdame und dirigierte mich in den Aufzug. Als sich die Türen hinter uns schlossen, fuhr sie fort: »Es gibt hier einige Veränderungen im Hause, über die Sie informiert werden müssen. Deshalb habe ich Sie hergebeten.«
»Bitte nicht«, murmelte ich.
Aber Lakritze fuhr unbeirrt fort. »Wie Sie vielleicht in der Zeitung gelesen haben, ist Aurora von einer großen Verlagsgruppe geschlucktworden, die selber einige erfolgreiche Heftromanreihen verlegt. Lauros.«
»Oh, sind das nicht die mit Corinna ?«, fragte ich und rümpfte die Nase.
»Genau«, sagte Lakritze. »Lauros hat Aurora aufgekauft. Mit Haut und Haar.«
»Das klingt nicht gut«, sagte ich.
»Nein, das ist es auch nicht«, sagte Lakritze. Die Aufzugstüren öffneten sich, und wir traten in den Flur des dritten Stockwerkes. »Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden: Bis auf Nanette wird die komplette Romantik-Reihe eingestellt.«
»Aber ich dachte, die Geschäfte liefen gut«, sagte ich.
»Das tun sie auch«, sagte Lakritze. »Aber die von Lauros haben ihre eigenen Liebesromane und wollen sich mit unseren nicht selber Konkurrenz machen. Sie hoffen wohl, dass sich alle Norina -Kunden zukünftig auf Corinna stürzen werden. Und statt Forsthaus Friedrichshain sollen die Leute eben deren Bergförster Wolfgang kaufen. Ich bezweifle ja, dass das Konzept aufgeht.«
»Und was ist mit Parkklinik Dr. Ohlsen ?«
»Wird eingestellt«, sagte Lakritze. »Obwohl sich unsere Parkklinik viel besser verkauft als deren Ambulanzarzt Dr. Martin .« Sie schnaubte. »Dafür sollen wir unseren Grusel- und Actionroman-Sektor erweitern. Unsere Heimatromanchefin muss ab nächsten Monat eine neue Vampir-Reihe betreuen. Sie hat sich
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