Für jede Lösung ein Problem
weg ist, und das, obwohl er mit unserer Programmleiterin schläft.«
Das Büro von diesem Adrian lag nur zwei Türen weiter. Ich kam einigermaßen unbeschadet dorthin, indem ich mich mit den Händen links und rechts an der Flurwand abstützte, immer abwechselnd.
»Eigentlich ist das kein Büro«, sagte Lakritze schadenfroh. »Es ist unsere ehemalige Abstellkammer. Der arme Junge hat sich bis jetzt nicht mal einen anständigen Raum verschaffen können, geschweige denn Gehör! Er ist einfach nicht der geborene Chef.« Sie klopfte an und drückte gleichzeitig die Klinke hinunter.
Die ehemalige Abstellkammer war nur sehr klein und rundherum vollgestopft mit windschiefen Regalen. In der Mitte stand ein Schreibtisch, der auch schon bessere Zeiten gesehen hatte, und dahinter, mit dem Rücken zum Fenster, saß, ziemlich beengt, der neue Cheflektor.
Ganz so jung, wie Lakritze gesagt hatte, war er nicht, ich schätzte ihn auf Mitte dreißig. Und ob er grün hinter den Ohren war, konnte ich nicht sehen, dafür waren aber seine Augen grün. Die Augen waren das Erste, was mir an ihm auffiel. Solchen Augen war ich bisher nur in meinen eigenen Romanen begegnet. Seine Augen waren von schwarzen, ungewöhnlich dichten Wimpern umrahmt und erinnerten sie von der Farbe her an dunkle, polierte Jade. Sein intensiver Blick jagte ihr, ohne dass sie wusste, warum, kleine, warme Schauer den Rücken hinab.
»Das ist unser neuer Cheflektor, Gregor Adrian, Herr Adrian, das ist unsere langjährige Autorin Gerri Thaler«, sagte Lakritze und schloss die Tür hinter uns.
»Herein«, sagte Adrian. Es klang ein wenig resigniert.
Gregor hieß der. So ein Zufall. Den anonymen Knochenspender in »Leas Weg« hatte ich auch Gregor getauft. Er hatte die dunklen Augenbrauen zusammengezogen und schien mit sich zu ringen, ob er dem Unwillen,der sich deutlich in seinen markanten Gesichtszügen abmalte, Luft machen sollte oder nicht. Schließlich obsiegte seine Höflichkeit, er verzog seinen Mund zu einem Lächeln, erhob sich und reichte ihr seine Hand.
»Freut mich, Sie kennen zu lernen, Frau Thaler«, sagte er. Seine Haare sahen aus, als habe er sie sich den ganzen Morgen gerauft, dunkles, etwas gelocktes Haar, das sich an den Schläfen bereits etwas lichtete und dringend einen Haarschnitt benötigte. Und einen Kamm. Ich mochte diesen »Wilde-Kerle«-Look bei Männern.
Und erst der Händedruck. Ich hatte Mühe, das Gleichgewicht zu halten, so kräftig war er.
»Meut frich auch«, murmelte ich. »Ich bin …« Ich stockte wieder, weil ich vergessen hatte, was ich sagen wollte. Gregors Händedruck war kräftig, seine Hand warm und trocken. Die Berührung tat ihr gut, sie hätte die Hand gern noch länger in der ihren gespürt, aber die Höflichkeit gebot ihr, sie wieder loszulassen. Hatte auch er die magnetische Anziehungskraft verspürt? Seiner Miene war nichts anzumerken.
Mann, war ich betrunken. Zweimal »spüren« hintereinander, das wäre mir nüchtern niemals passiert.
»Gerri ist noch ziemlich schockiert über die Neuigkeiten«, sagte Lakritze. »Sie hat bisher für Norina und Parkklinik Dr. Ohlsen gearbeitet.«
Ja, und sie fällt gleich um, wenn sie sich nicht setzen kann , dachte ich. Der Sekt machte sich vor allem in meinen Beinen bemerkbar. Dummerweise war in diesem winzigen Büro aber kein Platz für weitere Stühle. Vorsichtig lehnte ich mich mit dem Rücken an ein Regal. Ja, schon besser. Jetzt musste ich nur noch meine Zunge entknoten.
»Ich verstehe«, sagte Adrian. »Dann sind Sie ja von den Veränderungen unmittelbar betroffen.«
Ich nickte. »Ich werde wohl unter einer Wücke überbrintern müssen«, sagte ich.
»Wie bitte?«, fragte Adrian.
»Sie verstehen schon«, sagte ich ungeduldig. »Ich habe die Künstlersozialkasse jahrelang angelogen, was mein Einkommen angeht,nur um ein paar Euro zu sparen. Mit dem Ergebnis, dass ich künftig vermutlich von 150 Euro Arbeitslosengeld oder so leben muss. Das geht nur unter einer Brücke.«
Erstaunlich, dass mir diese komplizierten Sätze so leicht von den Lippen gingen. Auch Adrian schien überrascht von meiner Eleganz.
»Für die freien Mitarbeiter ist die Neustrukturierung von Aurora natürlich eine eher unschöne Entwicklung, aber der Verlag bemüht sich nach Kräften, auch hier nach Alternativen zu suchen«, sagte er.
»Hchm, hchm«, machte Lakritze. Sie schaffte es, dieses Räuspern außergewöhnlich spöttisch klingen zu lassen.
»Auch wenn wir das eigentlich gar nicht tun
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