Für jede Lösung ein Problem
gestern krank gemeldet: Nervenzusammenbruch. Ihr Mann sagt, es wäre passiert, als sie den Knoblauch für das Abendessen klein geschnitten habe.«
Ich stand auch kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Meine Knie waren so weich geworden, dass ich nicht mehr weitergehen konnte. Lakritze schob mich durch eine Tür in ein helles Büro mit vielen Grünpflanzen und drückte mich auf einen Stuhl.
»Ich weiß, das sind erschütternde Nachrichten«, sagte sie. »Aber wir werden bestimmt eine Lösung finden. Sie sind ja noch so jung. Jetzt trinken wir erst mal ein Glas Sekt auf den Schreck. Und darauf, dass wir uns endlich mal persönlich kennen lernen.« Mit einem leisenPlopp entkorkte sie eine Sektflasche und goss uns zwei Gläser ein.
»Auf bessere Zeiten«, sagte sie. »Wir sitzen alle in einem Boot, wenn Sie das tröstet.«
»Da wäre mir ja die Steuerfahndung noch lieber gewesen«, sagte ich und nahm ein paar hastige Schlucke. »Könnte ich denn nicht einfach für diesen Ambulanzarzt Dr. Martin und Corinna schreiben? Ich bin gut!«
»Ja, das sind Sie wirklich«, sagte Lakritze. »Das Problem ist nur, dass die von Lauros genug Autoren für ihre Reihen haben. Sicher kann man da mal das eine oder andere Manuskript unterbringen, aber wenn Sie davon leben müssen … – Was sind Sie eigentlich von Beruf, Gerri? Ich habe Sie nie danach gefragt.«
»Ich bin Schriftstellerin«, sagte ich.
»Ja, aber was haben Sie gelernt? Ich meine, womit haben Sie Ihr Geld verdient, bevor Sie zu schreiben angefangen haben?«
»Ich habe nie mit etwas anderem Geld verdient als mit Schreiben«, sagte ich.
»Verstehe«, sagte Lakritze und goss mir Sekt nach, den ich sofort hinunterkippte wie Wasser. »Sie waren ja auch erst zwanzig. Nun, da wird es sicher eine Möglichkeit geben. Ich sehe das so: Wenn eine Tür zufällt, dann öffnet sich irgendwo eine andere …«
»Ich könnte auch für Nanette Erotikromane schreiben«, sagte ich. »Ich müsste nur vielleicht etwas mehr recherchieren … Vielleicht im Internet.«
»Für Nanette haben wir leider ein Überangebot an Autoren«, sagte Lakritze. »Offenbar wollen alle ihre eigenen Erfahrungen niederschreiben. Wie gesagt, manchmal ist so ein drastisches Ende sogar …«
»Aber ich brauche diese Arbeit!«, fiel ich ihr ins Wort. »Ich liebe das Schreiben! Sehen Sie, ich habe gerade erst festgestellt, dass ich neuro … – dass ich ohne diesen Job völlig aufgeschmissen wäre.«
Lakritze schwieg eine Weile. Dann sagte sie: »Ein weniger unsicherer und einträglicherer Job – das ist es, was ich Ihnen wünsche.Glücklicherweise sind Sie ja jung genug, um noch mal von vorne anzufangen.«
»Aber ich will gar nichts anderes machen! Außerdem haben Sie selber gesagt, dass ich gut bin. Im Schreiben liegt meine wahre Bestimmung.«
»Sie sind ohne Zweifel sehr gut«, sagte Lakritze. »Auch meine Kollegin mit dem Nervenzusammenbruch ist ganz hervorragend in ihrem Job. Aber das nutzt uns in diesen Zeiten herzlich wenig. Wir müssen alle sehen, wie wir unsere Brötchen verdienen, nicht wahr? Vielleicht können Sie es eine Weile als Hobby nebenher laufen lassen.«
»Als Hobby nebenher …« Ich sackte unglücklich auf meinem Stuhl zusammen.
»Trinken Sie noch einen Schluck«, sagte Lakritze mitfühlend, goss mir ein weiteres Mal nach und trank ihr eigenes Glas in einem Zug leer. Ich tat es ihr gleich. »Wir stehen hier alle unter Schock, seit klar ist, dass eine Menge Arbeitsplätze verloren gehen werden. Ich weiß jetzt schon, dass die neue Vampir-Reihe mir aufs Auge gedrückt werden wird, wenn die Kollegin nicht zurückkommt. Die von der neuen Geschäftsführung hoffen wohl, dass einige von uns freiwillig kündigen, aber den Gefallen tun wir ihnen nicht. Ich habe sowieso nur noch drei Jahre bis zur Pensionierung, die ich irgendwie überbrücken muss.«
»Bei mir sind es fünfunddreißig«, sagte ich.
»Für Sie wird sich eine Lösung finden.« Lakritze goss mir den letzten Rest Sekt ein und ging zum Kühlschrank, um eine neue Flasche herauszuholen.
»Sicher«, murmelte ich. Das kannte ich doch schon. »Ich muss nur anfangen, positiv zu denken.«
Liebe Charly!
Ich habe gerade mal nachgerechnet: Es sind genau dreiundzwanzig Jahre seit dem Tag vergangen, an dem meine Mutter zum ersten Mal gesagt hat, du wärst kein guter Umgang für mich.
Sie hatte Recht: Du hast mich mit Schokolade vollgestopft, zu meiner ersten Zigarette überredet und mir das Nägelkauen beigebracht. Durch dich wurde ich mit
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