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Für Nikita

Für Nikita

Titel: Für Nikita Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Hausmitteln, Grundlagen des indischen Yoga und die Lehren tibetischer Mönche, schrieb über radikale Abhärtungsmethoden
     und widmete ein ganzes Kapitel der Naturkosmetik, der Pflege von Haut und Haar. Sie wußte aus eigener Erfahrung, daß dieses
     Thema jede Frau interessierte.
    Die erste, nicht sehr hohe Auflage war sofort vergriffen. In einigen medizinischen Fachzeitschriften erschienen kritische,
     unfreundliche Rezensionen, in der vielgelesene Zeitschrift »Gesundheit« gar ein heftiger Verriß.
    Anfangs war Soja entsetzt und erschrocken – unnötigerweise, wie sich dann herausstellte. Die kühnen, alternativen Methoden
     zur Gesunderhaltung, die sie in ihremBuch vorstellte, wurden breit diskutiert. Sie wurde in zahlreiche Kulturhäuser eingeladen, um Vorträge zu halten, und gebeten,
     einen Kurs zur gesunden Lebensweise zu leiten.
    Was war ich früher, und was bin ich heute, dachte Soja, als sie wieder einmal in ihrem Vaterhaus am Tisch saß, ihr gegenüber
     die geradezu unanständig gealterte Ljudmila.
    Das rosa Kleid mit der schwarzen Borte, allerdings nicht aus Silastik, sondern aus französischem Jersey, das Soja ihr mitgebracht
     hatte, war zu klein. Ljudmila trug inzwischen Größe zweiundfünfzig.
    »Hier setz ich was rein, und hier laß ich die Borte ein Stück raus«, tröstete sich Ljudmila.
    Anton kam aus der Schule. Er hatte sich gestreckt, sein Gesicht wirkte klug, beinahe erwachsen. Soja fiel zum erstenmal auf,
     daß der Junge hübsch wurde, ja schön. Groß, schlank, breite, männliche Schultern, ordentlich gekleidet, sogar mit einigem
     Chic, das Haar nicht lang und zottelig wie bei den anderen Dorfjungen, sondern kurz geschnitten und gescheitelt. Nichts an
     ihm war bäurisch grob. Ein schmales, städtisches Gesicht, angenehme Hände, keine Schaufeln wie bei seiner Mutter und seinem
     Vater.
    Wir beide sind von derselben Art, stellte Soja im stillen fest, ich sollte öfter herkommen, ihn vielleicht auch in den Ferien
     zu mir nehmen.
    Sie wußte bereits, daß sie nie eigene Kinder haben würde. Bei der letzten ihrer fünf Abtreibungen war etwas schiefgegangen.
    Na ja, dachte sie gelassen – wie hätte ich mit einem Kind Karriere machen sollen? Aber ich habe ja meinen Neffen. Was kann
     Ljudmila dem Jungen hier auf dem Dorf schon geben? Wenn ich erst eine schöne Dreizimmerwohnung habe, dann nehme ich ihn zu
     mir, lasse ihn studieren, mache einen Menschen aus ihm.
    Zu einer schönen Dreizimmerwohnung brachte Soja es erst 1982. Und dann mußte sie sich an ihr zweites Buch setzen. Genau in
     dieser Zeit kam ihre Schwester Ljudmila nach Moskau geeilt und erzählte ihr mit hysterisch überkippender Stimme, Anton habe
     jemanden getötet, und zwar nicht irgend jemanden, sondern seine Geliebte, die zwanzig Jahre älter war als er.
    »Hilf mir, Soja! Tu irgendwas! Sonst sperren sie ihn doch ein!«
    Soja machte sich Vorwürfe, daß sie den Jungen aus den Augen gelassen, ihn nicht rechtzeitig nach Moskau geholt hatte. Doch
     dann, als sie den ersten Schock überwunden hatte, kam sie zu dem vernünftigen Schluß, daß ein Verwandter, der ein Mörder war,
     dem Ruf von Frau Doktor Astachowa nicht eben dienlich wäre. Bei ihrem derzeitigen schwierigen Stand im Kollegenkreis alte
     Verbindungen wiederaufzunehmen und sich für einen Mörder einzusetzen wäre äußerst riskant.
    Anton wurde zu zehn Jahren verurteilt. Soja Astachowa tröstete sich damit, daß sie nach seiner Entlassung versuchen würde,
     ihre Schuld wiedergutzumachen.
    Sie hatte sich inzwischen gänzlich von der Schulmedizin verabschiedet. Ihre Berufskollegen verstanden und begrüßten das nicht
     und veröffentlichten weiterhin Schmähschriften gegen sie.
    Soja beschäftigte sich tiefgründig mit verschiedenen Methoden langfristigen Fastens, schrieb über Paul C. Bragg und Pamela
     Sheldon, überzeugte sich und andere davon, daß man mit gewöhnlichem Urin alles heilen könne, vom Schnupfen bis zu Krebs. Intensiv
     widmete sie sich auch dem gerade in Mode gekommenen Thema Unterwassergeburt und unterhielt enge Kontakte zu einem berühmten
     Professor, der sogenannte »spirituelle Geburtshelfer« ausbildete.Mit ihm zusammen agitierte sie werdende Mütter, zu Hause zu entbinden, in der Badewanne, die Nabelschnur nicht durchzutrennen,
     bevor sie von selbst vertrocknete, das Neugeborene dreimal täglich mit eiskaltem Wasser zu übergießen, es an einem Bein fünfzehnmal
     im Uhrzeigersinn und fünfzehnmal in die Gegenrichtung kreisen zu

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