Für Nikita
lassen und es immer, bei jeder Temperatur, nackt zu lassen.
Das neue Buch von Doktor Astachowa wurde ein Bestseller.
Einmal besuchte sie ihren Neffen im Straflager im Gebiet Tambow, aber dann hatte sie so viel zu tun, daß sie es nie schaffte,
sich loszueisen, obwohl Anton sie in Klagebriefen ständig darum bat. Sie fuhr auch nicht zu ihrer Schwester, obwohl es der
immer schlechter ging. Nicht weil die Schwester ihr gleichgültig gewesen wäre, nein – sie hatte einfach keine Zeit.
Immer mehr Frauen wollten die neue, originelle Geburtsmethode ausprobieren. Es entstanden mehrere inoffizielle Gruppen, die
werdende Mütter und Väter auf die Unterwassergeburt vorbereiteten. Frauen im siebten, achten Monat standen bis zu einer Stunde
auf dem Kopf, fasteten und meditierten. Die Mutigsten tranken auch ihren eigenen Urin. Die Kursgebühren war enorm. Interessanterweise
waren die meisten Frauen gebürtige Moskauerinnen mit technischer oder geisteswissenschaftlicher Hochschuldbildung.
Im stillen staunte Soja über die Leichtgläubigkeit der Moskauer Mütter und Väter. Eine der Gruppen leitete sie nicht ohne
Vergnügen selbst. Die Teilnehmer saßen im Schneidersitz oder im Lotossitz im Kreis und hörten ihr mit angehaltenem Atem zu,
gehorchten jedem Wort und jeder Geste. Manchmal platzte sie innerlich fast vor Lachen, die einfache Dorftrine in Frau Doktor
Astachowa, wenn schwangere Moskauer Intellektuelle sich mit aller Kraftbemühten, sich mit dem rechten Fuß hinterm linken Ohr zu kratzen.
Die Unterwassergeburt sollte im Idealfall vom glücklichen Vater betreut werden, ohne jede Hilfe von Außenstehenden. Aber dazu
konnten sich nur wenige entschließen. Die meisten Paare waren bereit, eine beträchtliche Summe an einen sogenannten »spirituellen
Geburtshelfer« zu zahlen, der dabeisein und helfen sollte.
Damit konnte man recht gut verdienen. Soja selbst konnte leider nicht als »spiritueller Geburtshelfer« auftreten: Ein ausgebildeter
Arzt durfte nur in extremen Notfällen eine ambulante Entbindung vornehmen, denn wenn etwas passierte, wurde er strafrechtlich
zur Verantwortung gezogen. Mit anderen Worten, das einzige, was jemanden hindern konnte, Hausgeburten zu betreuen, war ein
medizinischer Fach- oder Hochschulabschluß.
Die Ausbildung der »spirituellen Geburtshelfer« mußte von den Teilnehmern bezahlt werden, für die Seminare wurden Pensionen
oder Kurhäuser gemietet. Abschlußzeugnisse wurden nicht ausgestellt. Die Telefonnummer jedes Absolventen wurde in eine Liste
eingetragen, der frischgebackene »spirituelle Geburtshelfer« durfte sich auf Doktor Astachowa und den berühmten Professor
berufen, die ihn ihrerseits als ausgewiesenen Spezialisten an Interessierte empfahlen.
Die medizinische Öffentlichkeit reagierte auf die modischen Experimente relativ lasch – hin und wieder ein kritischer Artikel,
eine Reihe unangenehmer Fernsehsendungen. Aber das hatte nur einen gegenteiligen Effekt, sorgte für Reklame.
»Was tun Sie nur, Soja?« fragte ihr ehemaliger wissenschaftlicher Betreuer sie bei einer zufälligen Begegnung. »Passen Sie
bloß auf, Sie könnten ernsthaften Ärger bekommen.«
Der Ärger ließ nicht lange auf sich warten. Einer der ausgewiesenen Spezialisten hielt, in Gedanken versunken, ein Neugeborenes
zu lange unter Wasser und ertränkte es aus Versehen. Er bemühte sich zwar redlich, den Eltern einzureden, ihr Kind habe eben
so ein Karma gehabt – aber davon wollten sie nichts hören. Vor Gericht gehen konnten sie allerdings nicht. Schließlich hatte
niemand die Gebärende gezwungen, in die Wanne zu steigen und sich einem x-beliebigen anzuvertrauen. Aber es gab unangenehmes
Gerede. Und dann folgte lawinenartig ein Vorfall auf den anderen: Sepsis, Nabelverschlingung, Querlage, zu schmales Becken.
Von solchen Dingen hatten die »spirituellen Geburtshelfer« noch nie gehört; sie öffneten der Gebärenden fleißig die Chakren
und reinigten den Astralleib.
In einer regnerischen Oktobernacht wurde eine Gebärende mit dem Krankenwagen in eine Moskauer Entbindungsklinik eingeliefert.
Der Notarzt hatte sie in komatösem Zustand aus der Wanne geholt, zwei tote Zwillinge im Bauch. Ähnliches war auch früher schon
vorgekommen, aber folgenlos geblieben. Schuld waren immer die Opfer selbst. Ein »spiritueller Geburtshelfer« hatte eben eine
rein spirituelle Funktion, er war auf Wunsch der Klienten zu deren moralischer Unterstützung
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