Für Nikita
dich doch in dieser Situation nicht ohne Bewachung lassen. Ich habe
es dir bloß nicht gleich gesagt, weil ich dich nicht erschrecken wollte. Deine Resnikowa, die dumme Pute, die hat ihn mitgebracht.
Er ist besessen von Godunows Krimis, ist ein verrückter Fan von ihm, kennt seine ganze Biographie auswendig, und nun will
er dich umbringen. Ich habe Psychiater konsultiert, und die sagen, es könnte bei der Beerdigung passieren. Darum solltest
du lieber nach Sinedolsk zurückkommen. Am besten gleich heute.«
»Halt, warte mal …« Nika blieb mitten auf der Straße stehen. »Wie kommt ihr darauf, daß mich jemand verfolgt?«
»Die Jungs haben den Mann identifiziert, der dich zum Flughafen gefahren hat, er saß auch mit im Flugzeug. Er treibt sich
ständig in der Nähe unseres Hauses rum. Wenn du genau nachdenkst, erinnerst du dich vielleicht an ihn. Er ist schrecklich
dünn. Kahlköpfig. Ein Kopf wie ein Totenschädel und unheimliche Augen.«
»Sieht aus wie ein Krebskranker«, sagte Nika langsam.
»Du hast ihn gesehen?« schrie Russow so laut, daß es in Nikas Ohr kribbelte.
»Auf dem linken Handrücken hat er sieben runde Narben, Verbrennungen. Von Zigaretten. Solche hast du auch, fünf Stück. Wer
ist er, Grischa? Du kennst ihn doch von früher. Und ich auch.«
»Nika, das ist nichts fürs Telefon. Es spielt keine Rolle, wer er ist. Jetzt nicht mehr. Du mußt Moskau sofort verlassen.
Wo bist du jetzt?«
»Vor unserem Haus.«
»Ausgezeichnet. Dann pack schnell deine Sachen, die Jungs fahren dich nach Domodedowo. Tickets liegen schon bereit, der Flug
geht in drei Stunden.«
»Und Sina? Warum warst du so grob zu ihr?«
»Hat sie sich schon beschwert?« Er lachte gutmütig. »Ich war ein bißchen hitzig. Tut mir leid. Ich war einfach so wütend,
als ich erfuhr, daß sie diesen gefährlichen Irren auf deine Spur gebracht hat. Richte ihr meine Entschuldigung aus. Oder soll
ich sie selbst anrufen und mich bei ihr entschuldigen?«
»Nicht nötig. Ich werde ihr alles erklären.«
»Gut, Nika, jetzt ab nach Hause und dann zum Flughafen. Ich küsse dich, du fehlst mir sehr.«
Nadeshda Guschtschina öffnete sofort, ohne durch den Spion zu blicken oder zu fragen »Wer da?«.
»Öffnen Sie immer gleich die Tür, ohne zu fragen?« erkundigte sich Hauptmann Leontjew. »Bitte, tun Sie das nicht. Das sage
ich Ihnen als Milizionär.«
»Oh, guten Tag, kommen Sie rein.« Sie lächelte schuldbewußt. »Wissen Sie, ich dachte nur, mein Besuch ist noch mal zurückgekommen,
sie hat nämlich Feuerzeug und Zigaretten liegengelassen.«
»Entschuldigen Sie, daß ich nicht vorher angerufen habe. Ich komme wegen Ihres Besuchs, wegen Veronika Sergejewna.«
»Ich habe Ihnen doch gestern schon gesagt …«
»Sie haben gesagt, sie habe einen Freund von Nikita geheiratet, eine absolute Null. Wer ist das?«
»Warum wollen Sie das wissen?« fragte Nadeshda hastig. »Das ist eine uralte Geschichte. Wozu das wieder aufwühlen? Nika hat
damit nichts zu tun.«
»Trotzdem – wer ist ihr Mann?«
»Na schön. Wenn das so wichtig ist. Grischa Russow, ein Junge aus Sibirien, der Sohn eines hohen Parteifunktionärs.«
Russow ist seit kurzem Gouverneur des Gebiets Sinedolsk. Genau dorthin war Nikita heimlich geflogen, getarnt durch eine Pauschalreise
nach Antalya, und als er zurückkam, wurde der erste Mordanschlag auf ihn verübt, in der Nähe von Tatjanas Haus. Er versteckte
sich bei der Resnikowa, wurde gefunden und getötet. Beim erstenmal war einfach aufs Geratewohl ein Schuß abgefeuert worden,
der zweite Versuch war gründlich vorbereitet, professionell inszeniert. In Sinedolsk wollte Nikita Belastungsmaterial gegen
Russow sammeln und ist offenbar fündig geworden. Aber warum? Hat er etwa all die Jahre Rachepläne geschmiedet? Wäre da nicht
die Geschichte mit dem Schuldschein, könnte man das annehmen. Obwohl Rache eigentlich nicht zu Rakitins Persönlichkeit paßte.
Moment, da war noch etwas anderes: Gold. Sekten. Ja, natürlich! Das alles schoß Leontjew in wenigen Augenblicken durch den
Kopf.
»Andrej Michailowitsch, da piepst etwas.« Nadeshda sah ihn furchtbar erschrocken an, er nahm den Piepser aus der Tasche und
las auf dem Display: Andrej, sofort im Büro anrufen, der Boß tobt und brüllt.
»Darf ich?« fragte Leontjew und griff zum Telefon.
»Ja, ja, natürlich.«
Oberleutnant Kaschin nahm ab.
»Andrej, deine Zeugin hat sich umgebracht«, flüsterte er hastig, »die
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